Einfluß der Chemie eines Stahls auf seine Leistungsfähigkeit
Am Beispiel der Low Alloy Steels (niedrig legiert) lassen sich die Wirkzusammenhänge der Chemie von Stählen gut erläutern. Wesentlicher Einflußfaktor auf die Schnitthaltigkeit sind Anteil und Härte der Karbide und die Härte/Härtbarkeit der Grundmasse sowie Anzahl der Legierungsbestandteile darin.
Wo so gut wie nichts drin ist, kann auch nichts den Schnitt halten. Die Rangfolge in Larrins CATRA-Tabelle bildet diesen Zusammenhang gut ab:
Schnitthaltigkeit
271 TCC: 8670 - C: 0,64-0,75 Cr : 0,3-0,5 Mn: 0,4-0,6 Mo: 0,08-0,15 Mn: 0,4-0,6 Si: 0,2-0,35 Ni: 0,7-1,0
283 TCC: O1 - C: 0,95 Cr: 0,6 Mn: 1,2 Si: 0,2 W: 0,6 V: 0,1
316 TCC: 1095 - C: 0,9-1,03 Mn: 0,3-0,5
320 TCC: 1.2519 - C: 1,1 Cr: 1,2 Mn: 0,3 Si: 0,15 V: 0,2 W: 1,3
328 TCC: 52100 - C: 0,98-1,1 Cr: 1,3-1,6 Mn: 0,25-0,45 Si: 0,15-0,3 Ni: 0,3 Cu: 0,2-0,3
330 TCC: 1.2442 - C: 1,15 Cr: 0,2 Mn: 0,35 Si: 0,25 W: 1,8-2,1
339 TCC: A2 - C: 0,95-1,05 Cr: 4,75-5,50 Mn: 0,6-1,0 Mo: 0,9-1,4 Si: 0,3-0,5 Ni: 0,3 Cu: 0,25 V: 0,2-0,25
348 TCC: 1.2562 - C: 1,4-1,43 Cr: 0,3-0,35 Mn: 0,3 Si: 0,2-0,23 V: 0,25 W: 3,0-3,05
In 8670 befinden sich minimale Legierungszusätze bei geringem C-Gehalt. Selbst über noch so große Bemühungen seitens einer optimalen Wärmebehandlung läßt sich daraus kein Schnitthaltigkeitsmonster entwickeln.
1.2562 am anderen Ende dagegen setzt dem Schnittgut mit den harten Wolfram-Karbiden gut Widerstand entgegen (der kleine Vanadium-Anteil dient hier eher der Kornverfeinerung). Der hohe C-Anteil erlaubt darüber hinaus hohe Härtbarkeit.
Mit der Zähigkeit verhält es sich in etwa umgekehrt. Viele Karbide, hoher C-Anteil und hohe Härte mindern die Zähigkeit. Was das Toughness-Ranking ja auch sehr eindrucksvoll widerspiegelt:
Zähigkeit
1.2562 - 2,8 ft-lbs
1.2442 - 8 ft-lbs
O1 & 1095 - 10 ft-lbs
8670 - 51 ft-lbs
Hieraus gilt es, bei der Stahlwahl anwendungsbezogen die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Bei höher legierten Stählen und anderen Herstellungsverfahren (Pulvermetallurgie) kommen weitere Wirkungszusammenhänge ins Spiel, die die Angelegenheit anlyseseitig verkomplizieren.
Bei den „einfachen“ Low Alloy Steels aber kann man sich an die obige Regel halten. Was dazu führt, daß sich auch Stähle, die nicht in Larrins Tabellen auftauchen, bezüglich ihrer zu erwartenden Eigenschaften einschätzen lassen. So wie etwa der von mir präferierte - niedrig legierte - Wolframstahl 1.2552.
Wir kennen die Bestandteile von 1.2552, 1.2442 und 1.2562:
1.2552 - C: 0,75-0,85 Cr: 1,0-1,2 Mn: 0,3-0,5 Si: 0,4-0,6 V: 0,25-0,35 W: 1,8-2,1
1.2442 - C: 1,15 Cr: 0,2 Mn: 0,35 Si: 0,25 W: 1,8-2,1
1.2562 - C: 1,4-1,43 Cr: 0,3-0,35 Mn: 0,3 Si: 0,2-0,23 V: 0,25 W: 3,0-3,05
Und wir wissen, daß Karbide und C-Anteil Schnitthaltigkeit und Zähigkeit beeinflussen. Sowie die Rangfolge von 1.2442 und 1.2562. Daraus können wir bezüglich 1.2552 schlußfolgern, daß er - unter sonst gleichen Bedingungen - weniger verschleißbeständig aber zäher sein wird als 1.2442 (gleichviel W aber deutlich weniger C).
Die gleiche Betrachtung läßt sich für die in Larrins Catra-Tabelle nicht enthaltenen Stähle 5160 und L6 bzw. 15N20 bezüglich ihrer zu erwartenden Verschleißbeständigkeit anstellen.
5160 - C: 0,56-0,64 Cr: 0,7-0,9 Mn: 0,75-1,0 Si: 0,15-0,3
L6 aka 15N20 - C: 0,65-0,75 Cr: 0,65-0,85 Mn: 0,55-0,85 Mo: 0,25 Si:0,2-0,4 Ni: 1,25-1,75 V:0,2-0,3
Die sehr hohe Zähigkeit wird bezahlt durch eine geringe Verschleißbeständigkeit, die sich - der Chemie zufolge - grob auf dem Niveau in der Gegend von 8670 bewegen dürfte.
Es gibt noch eine Krux bei der Entscheidung für diesen oder jenen Stahl bzw. seine geeignete Wärmebehandlung. Potentielle Zerstörungskräfte, die auf eine Schneide einwirken, sind die Abnahme der Schärfe durch Abnutzung (zunehmende Verbreiterung der Schneidenspitze), (Mikro-)Ausbrüche und Umklappen der Schneide (plastische Verformung).
Und das Umklappen ist nicht abhängig von der Zähigkeit des Stahls sondern in der Hauptsache von der Härte der Klinge. Eine sehr hohe Härte aber führt auf der anderen Seite zu geringerer Zähigkeit.
Wer für seine Anwendung beides braucht, muß sich um einen Stahl kümmern, der von der Chemie her gut zäh ist und hohe Härte ermöglicht. Damit bewegen wir uns in Richtung pulvermetallurgische Stähle, die trotz hohem C- und Karbid-Anteil bei kleinen und gut verteilten Karbiden gute bis sehr gute Zähigkeitswerte bei respektabler Schnitthaltigkeit aufweisen. Gutes Beispiel ist CPM 4V bzw. der sehr ähnliche Vanadis 4E von Böhler:
CPM 4V: C: 1,35 Cr: 5,00 Mo: 2,95 Mn: 0,40 Si: 0,80 V: 3,85
Vanadis 4E: C: 1,4 CR: 4,7 Mo: 3,5 Mn: 0,4 Si: 0,4 V: 3,7
Ansonsten muß man halt die Geometrie anpassen …
Wie sich die Stahl-Spezis diese Abhängigkeiten der Chemie für neues Stahl-Design zunutze machen, verdeutlicht sehr schön der folgende Beitrag von
U.Gerfin 2006 in diesem Forum:
„Die Legierung des Vanadis 4 baut auf der Grundlegierung des Stahls A2 (amerikanische Bezeichnung- deutsche Nr 1.2363) auf, der man knapp 4 % Vanadium zulegiert hat. Da Vanadium Kohlenstoff in sehr beständigen und ultraharten Karbiden bindet, mußte der C- Gehalt erhöht werden. Die Legierung ist also etwa: 1,4 % C, 0,4 % Si, 0,4 % Mn, 5 % Cr, 4 % Mol und 3,7 % Van.
Daraus läßt sich ablesen, daß der Stahl in etwa die Eigenschaften des 1.2363 bei deutlich gesteigerter Verschleißfestigkeit hat. In den Datenblättern von Uddeholm wird er mit dem D2 verglichen, den er an Verschleißfestigkeit leicht und an Zähigkeit deutlich übertrifft (Kunststück). Rostbeständig ist er nicht- 5 % Cr. reichen dafür nicht aus. Es ist ja auch nicht so, daß der Korrosionswiderstand mit steigendem Cr- Gehalt linear ansteigt. Unter der "magischen "Grenze von 12 % Chrom in der Grundmasse ist der Korrosionswiderstand gering. Deshalb rosten ja auch weichgeglühte, an sich korrosionsbeständige Stähle munter vor sich hin.
Die Bezeichnung als "ultra clean" läßt darauf schließen, daß der Stahl sehr sauber und homogen hergestellt wird. Das führt zu deutlichen Eigenschaftsverbesserungen, wie man ja auch beim Vergleich von Wälzlagerstählen mit legierungsgleichen Werkzeugstählen deutlich sehen kann. Den Werksangaben renommierter Hersteller wie Uddeholm kann man unbedingt trauen- anders als den Anpreisungen kommerzieller Nutzer dieser Stähle.“
Man kann die Entscheidung auch annähernd aus den Gefügebildern herleiten. Von links nach rechts 5160 8670, L6, 1095, O1, 52100, 1.2562, Vanadis 4E und CPM 4V.
Die ersten 4 Bilder zeigen reine Grundmasse. Von Karbiden keine Spur. 05 und 06 zeigen Karbide (die weißen Punkte). Auf Bild 07 erkennt man relativ große weiße Klumpen - die Wolframkarbide von 1.2562. Bilder 08 und 09 zeigen, wie sich die Pulvermetallurgie auswirkt. Wir sehen viele kleine - gleichmäßig verteilte Karbide. Trotz deutlich höherem Karbidanteil als bei 1.2562. Zwischen CPM 4V und Vanadis 4E ist so gut wie kein Unterschied erkennbar.
Wer sich nur an der reinen Schnitthaltigkeit (wear resistance) orientiert, ist schlecht beraten und riskiert Mikroausbrüche und/oder plastische Verformung an der Schneide.
R’n‘R