Bonjour Frankophile - und in diesen Tagen mit einem besonderen Gedanken an unsere französischen Freunde.
Das Schöne solcher Threads ist ja ihr offenes Ende. Man nimmt irgendwann den Faden wieder auf und verlängert ihn, so wie ich jetzt. Ich hab nämlich noch zwei Franzosen-Klappmesser, die ich Euch vorstellen möchte.
Ich habe dafür mal die Region Laguiole-Thiers verlassen, um die sog. Regionalmesser einen Bogen gemacht, wollte sehen, was sich denn sonst noch fände. Fündig wurde ich beim Händler Berthier, F-Valence, in dessen online-Katalog mir die Messermacher Pascal Renoux und Yann Nomine' auffielen.
Pascal Renoux betreibt seine Manufaktur in Barret unweit Bordeaux. Seine Messer erinnern in ihrer offenen, leichten Bauweise mit Liner-Lock an Atelier Perceval, also nicht unbedingt typische Franzosenklapper. Mein Wunschmodell "Entretoise" war direkt von Berthier lieferbar, die Kommunikation in englisch problemlos.
Die Übersetzung "Entretoise = Abstandhalter (?)" bleibt für mich irritierend, denn mit dem kleinen, feinen Herrenmesser hält man niemanden auf Abstand. Im Gegenteil, es ist Dank des schönen, schlanken Designs eher Interesse anziehend. Besonders in Kombination mit den wunderbaren Griffschalen der Amboinawurzel, die laut Auskunft Berthier exklusiv für sie eingesetzt würden. Ein Genuss ist die Haptik, die Schalen erinnern an eine Perlstruktur und sind bei meinem Modell mit Zierschrauben befestigt. Qualitativ sehr, sehr gut verarbeitet, Lock gut ausgerichtet, Klinge perfekt zentriert.
Auch wenn das Messer im MF schon mal vorgestellt wurde, hier noch zusammenfassend ein paar technische Daten: Länge 187 mm ges., Klinge 84 mm aus 12C27, 2mm stark, Flachschliff und nadelspitz, auf Schneidleistung getrimmt. Ganze 65 gr. leicht, geliefert mit Leder-Stecketui.
Das Grundmodell "Le Grimpeur" des Messermachers
Yann Nomine' aus dem Katalog von Berthier gefiel mir ebenfalls gut, war allerdings mit den bevorzugten Griffschalen ausverkauft. Glück gehabt!!! Denn ich ging nun auf YN's Website und fand dort alles, was dieses Messer zu einem
echten Franzosen machen sollte. Unter "Pieces d'exception" bietet er gegen relativ geringen Aufpreis gegenüber dem Handel full-custom an. Die Website ist zwar in französisch, aber die Mail-Kommunikation funktioniert gut in englischer Sprache.
Ich wollte ein "helles, sozialverträgliches" Messer, wählte RWL 34 für die Klinge, lokale Eschen-Knorre als Griffschalen und als frz. Element eine Guillochage der Platinen. Zur Auswahl des Holzes hat er mir prompt drei Bildmuster geschickt. Der hübsche Bommel aus dem Hauer eines Warzenschweins gehört ebenso zum Lieferumfang wie eine hochwertige Steckscheide.
Ein paar technische Daten: Länge ges. 192 mm, Klingenlänge/-breite/-stärke 85/21/3 mm, Griffbreite 18 mm max./-dicke 14 mm, Gewicht 82 gr. Hohlschliff, gnadenlos scharf, ich zog nur leicht über meinen gut bewollten Unterarm und hatte eine satte Kahlstelle. Gut, dass die satinierte Klinge von einer sehr straffen Feder (Slipjoint) gehalten und bei 90 Grad gestoppt wird!
Die Verarbeitung ist makellos, mit einem kleinen Abzug in der B-Note: die Klinge sitzt nicht ganz mittig, jedoch ohne Platinenberührung. Der Macher bekannte sich dazu, wollte es nach seinen Angaben noch richten, ohne Erfolg. Für mich aber kein Problem. Die Feder und Plantinen sind innen poliert. Eine Besonderheit: Die Klinge scheint längs ausgeschliffen zu sein (bei den frz. Begriffen hapert meine Übersetzungsfähigkeit), wirkt jedenfalls edel und optisch die streckend.
"Le Grimpeur" kann man wohl mit "Kletterer" übersetzen, aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es als feiner Schnitter sowohl für Berg- wie Flachlandwanderungen bestens geeignet ist. (Auch wenn Y. N. das Messer als
robusten Begleiter konzipiert hat, als Steigeisen beim Klettern würde ich es jedenfalls nicht einsetzen.) Mein robuster Einsatz steht noch aus, ich hab's aber schmunzelnd (und ein bisschen provokant) an anderer Stelle genutzt. Wer seine Erfahrungen mit div. Hotel-Frühstücks- und Restaurantmessern gemacht hat, wird mich verstehen..... - oft nur stumpfes Stanzeisen.
Ich war ein paar Tage wandernd unterwegs. Morgens und abends lag das Messerchen neben meinem Gedeck, zur anfänglichen Irritation der Kellnerin - aber meiner Freude: Die Brötchen wurden nicht zerquetscht, zerrissen, sondern zerfielen in zwei glatte Hälften; die Orangenspalten schnitt ich mit leichten Zügen heraus ohne Saftlachen auf dem Teller. Am vergnüglichsten war jedoch das Steak, mit der Gabel leicht geliftet: die Klinge glitt hindurch, zerteilte ohne Porzellankontakt! Purer Spaß!!!
Erstes Resume: In der Domäne der Laguioles, Speisen + Getränke + soz. Akzeptanz, hat es sich prächtig geschlagen. Ok, in puncto "Kultur" lässt es den Laggis bescheiden den Vortritt.
Mit schneidigem Gruß
Abu