Hartkopf - Simply the Best

pebe

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Hartkopf - Simply the Best


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Es war in den 1990zigern. In einer der kleinen Gassen, rund um das Freiburger Münster. Ein winziges Geschäft mit einem einzigen Schaufenster. Darin, auf schnödem Packpapier als Deko der Auslage, lagen recht lieblos einige Solinger Kochmesser und ein paar andere old school Messer - alles stets leicht staubig und über Jahre unverändert.

Es lag sozusagen auf einem der Wege vom größten Parkhaus in den Kern der Innenstadt. Und. Eines Tages blieb ich mal wieder unschlüssig dort stehen und ging dann schließlich doch hinein. Ein älterer Mann in Werkstattkittel stand hinter einem winzigen Vitrinentresen, erkennbar erstaunt, dass sich jemand in seinen Laden verirrt hatte.

Wie ich bei einer späteren Gelegenheit erfuhr, befand sich im Keller noch ein kleine Werkstatt, in der er Messer reparierte und schliff.

„Ich suche ein Taschenmesser“. Hm. „Welches ist denn das Beste?“ Der Oscar Wilde Klassiker zeigte Wirkung. Er griff nach kurzem Überlegen unter die Glasplatte des Tresens und drückte mir das vierteilige Hartkopf in die Hand.

Echt jetzt? Keine Arretierung, Holzgriff und Korkenzieher? Ein Opamesser!

„Ein besseres gibt es nicht“. Es klang recht emotionslos, aber bestimmt und gleichzeitig so selbstverständlich wie der Hinweis, dass morgen früh die Sonne aufgeht. Der Mann im Blaukittel hatte ehrliche Augen.

Ich nahm wortlos das Messer in die Hand, öffnete und schloss der Reihe nach alle Klingen und hörte mich dann „ok“ sagen.

Mehr gab es nicht zu sagen. Kein Wort, wofür das Messer gedacht war. Was es sonst noch gab. Was es kosten soll. Das Beste ist schließlich das Beste. Danach kommt nix mehr und für weniger, als es kosten würde, bekommt man eben nicht das Beste.

Männerlogik kann so erfrischend unkompliziert sein.

Das Messer entsprach eigentlich so gar nicht dem, was ich mir vage vorgestellt hatte. Ich hatte irgendwie etwas moderneres erwartet. Doch. Ich vertraute dem alten Mann mit von der Arbeit schmutzigen Händen und kaufte dieses Hartkopf. Ich wollte ja, genau - das Beste.


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Heute, gut 30 Jahre später, ist dieses Hartkopf das älteste eigene Messer, das ich noch besitze. Die Mutter aller meiner nachfolgenden Messer sozusagen.

Es hat schon einiges an Missbrauch hinter sich. Eine Macke in einer Feder im Rücken, vermutlich mal runtergefallen, die Hauptklinge öfters unfachmännisch abgezogen. Die kleine Klinge ist an der Spitze schon so knickverbogen, dass ich sie nicht mehr vollständig sauber gerichtet bekomme.

Daher ist es das offizielle Paket- und Verpackungsöffnermesser im Haushalt. Ich benutze auch gerne den Korkenzieher. Schon weil der Hightech Leverpull sich meist nicht dort befindet, wo ich ihn vermute. Meine hübschere Hälfte ist diesbezüglich Chaos Theoretiker mit unvorhersehbaren Ablageplätzen, die ihr spontan beim Putzen oder Aufräumen einfallen.

Vor einigen Wochen jedoch geschah es. Ich konnte mein Hartkopf plötzlich nicht mehr finden, obwohl es eigentlich einen festen Platz im Bücherregal hat.

Zuerst, alle Rucksäcke durchsucht. Einmal, zweimal. Nix. Dann alle Jacken. Nix. Hernach wirklich ALLE Jacken. Wieder nix. Reisetaschen. Nix.

Intensivbefragung der Familienmitglieder. Hauptverdächtigter, der Noch-Welpen-Junghund, der mit 8 Monaten fast ausgewachsen und sich reichlich übermütig alles schnappt, was er erwischen kann. Alle seine Verstecke abgesucht. Aber - Nichts. Nada. Null. Nüscht.

Ich bin wenig kultisch oder abergläubisch veranlagt, aber als dieser langjährige Zeitzeuge nicht mehr auffindbar war, beschlich mich irgendwie ein ungutes Gefühl.

Etwas beunruhigt fing ich an, online nach einem solchen Hartkopf zu suchen. Jedoch, das vierfache Hartkopf gab es nirgends mehr zu kaufen, nicht mal gebraucht. War ja eigentlich auch klar. Das Beste bleibt schließlich nicht einfach wie Reste übrig.

Doch! Einige Tage später hatte ich den rettenden Geistesblitz.

Ich stürmte raus zum Auto. Mittelkonsolenbox. Da war es. Ich hatte ein größeres Paket abgeholt und wollte gleich Auspacken und den Umkarton entsorgen - dafür hatte ich es ausnahmsweise mitgenommen. Heureka!


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Es ist Samstag Morgen. Kalt draußen. Herrlich klare Luft. Die Sonne steigt langsam hinter dem Kirchturm empor. Ich genieße meinen Kaffee und erinnere mich an die Geschichte von meinen Hartkopf.

All die Jahre auf der Suche nach dem besten Messer - dabei war es die ganze Zeit schon da.

Euch Allen ein schönes Wochenende

grüsse, pebe
 
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Sehr schöner Bericht. Die Situation mit der Suchaktion an allen möglichen und unmöglichen Orten kommt mir nur allzu bekannt vor ;)
Ein dreiteiliges Hartkopf war einstmals mein allererstes selbst gekauftes Taschenmesser. Im örtlichen Haushaltswarenladen gabs auch kaum was anderes, nicht mal Schweizer Messer. Ein Hippekniep vielleicht noch, das hab ich bald danach erstanden...
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Hi Pebe,
Tolle Story, so emotional, dass Außenstehende sie in Bezug zu Messern nie verstehen werden. Dabei geht es doch um Vertrautes und Gewohntes, und sei es ein simples Messer. Ich hatte kürzlich ebenfalls so ein Schreckerlebnis mit meinem Hartkopf-Teufelskerle, Begleiter zu Abendveranstaltungen und Tanz mit Gattin seit vielen Jahren. Suche erfolglos, musste mir wieder in Hände fallen.
Ja, ich meine auch deinen Shop in Freiburg zu erkennen, war aber nur noch draußen ein Schild. Auch etwas Vertrautes, das futsch ist.

Abu
 
Zwar nicht ganz ein Teufelskerl, aber die gleiche Solinger „Handschrift“ - übrigens ein Flohmarktfund.
Bei Peters schönen Bericht musste ich unwillkürlich an diesen Oldtimer denken.
( ehrlich gesagt meinte ich zu glauben, dass es tatsächlich ein Teufelskerl wäre 🤭)
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Eine sehr schöne Geschichte, pebe - würdig, in der Adventszeit erzählt zu werden ....

Tja, Monsieur Ferrazza kannte sich mit Messern aus - eine wahre Institution in Freiburg!

Freut mich, daß du deinen alten Weggefährten wieder gefunden hast und er nicht dem Welpenunfug zum Opfer fiel.

Deine Reaktionen und Aktionen nach dem Bemerken des Verlusts kann ich durchaus bestätigen - ich hab noch so ein, zwei Kandidaten auf deren Wiederauftauchen ich warte .... :irre:

Bon weekend!

Virgil
 
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Hi Pebe,
Tolle Story, so emotional, dass Außenstehende sie in Bezug zu Messern nie verstehen werden. Dabei geht es doch um Vertrautes und Gewohntes, und sei es ein simples Messer. Ich hatte kürzlich ebenfalls so ein Schreckerlebnis mit meinem Hartkopf-Teufelskerle, Begleiter zu Abendveranstaltungen und Tanz mit Gattin seit vielen Jahren. Suche erfolglos, musste mir wieder in Hände fallen.
Ja, ich meine auch deinen Shop in Freiburg zu erkennen, war aber nur noch draußen ein Schild. Auch etwas Vertrautes, das futsch ist.

Abu
Ja, wir sind schon ziemlich verrückte Exoten, nicht therapierbar——— und das ist gut so💫🫶🏻
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Eine sehr schöne Geschichte, pebe - würdig, in der Adventszeit erzählt zu werden ....

Tja, Monsieur Ferrazza kannte sich mit Messern aus - eine wahre Institution in Freiburg!

Merci bien.

Auf Dich ist Verlass! :super:

Ich bin heute morgen nicht mehr auf den Namen gekommen - Ferrazza. Hätte ihn gerne benannt.

grüsse, pebe
 
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Dieses PUMA Custom WildLife hatte ab Werk eine satinierte Klinge, die mir zu den polierten Backen nicht so recht gefallen wollte.

Yup. Ich war schon damals so. :haemisch:

Meister Ferrazza hatte sie mir dann aufpoliert. Und wollte bei Abholung kein Geld dafür nehmen.

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@pebe Es gibt Geschichten, die unbedingt erzählt werden müssen. Deine Geschichte ist genau so eine. Und wenn sie dann noch so hervorragend, rhetorisch brilliant erzählt wird, dann ist das ganz, ganz grosses Kino. And the Oscar goes to........raschel, raschel..... pebe. Ich gratuliere herzlich.

Gruss Ulli
 
Ja, da muss ich mich mal einklinken, @pebe - Deine Einwilligung vorausgesetzt.
Es war so gegen .... 2009 oder 2008, als ich zu ihm hin bin, und ihn fragte ob ich mal bei ihm Praktikum machen könne - Messerschleifer alter Solinger Art, da dachte ich ich könne bestimmt was lernen bei ihm. Leider kam nichts bei rum, er war damals schon sehr krank ( drei mal die Woche zur Dialyse, Niere kaputt), und war auch geistig schon sehr beeinträchtigt. Schade.

Wir spulen vor ins Jahr 2016. Telefon klingelt: Ich sei doch Messerschmied, der Anrufer habe das Haus in der Schustergasse in Freiburg gekauft, ob ich nicht Interesse an dem Rest der Firma Ferrazza hätte....
Bin dan hingefahren, angucken - verdammt noch eins, der Laden war abgeschlossen, der Ferrazza tot, und sonst.... alles wie zu Lebzeiten. Unmengen Messer, alle Maschinen ( zum größten Teil uralt, nicht gewartet, definitiv nicht BG-geeignet), die ganze Deko..... Dann Verhandlungen, einen nicht zu verachtenden Betrag im 4-stelligen Bereich bezahlt, und eine Woche lang gemistet, verpackt, abgefahren.
Die Werkstatt ( die nicht im Keller sondern hinter dem ominösen Vorhang im Verkaufsraum lag) - circa 3x5m - unter wortwörtlich! 30cm grauem, eindeutig nierenschädigendem Schleifstaub begraben. Keine Absaugung. Kein Fenster. Keine einzige Atemschutzmaske. Der Mann hat sich hier wortwörtlich totgeschliffen. Nach der Woche dann besenrein an den neuen Besitzer übergeben.
Fun fact: Er hatte Mietvorstellungen, die so horrend waren, daß die Bude bis heute nicht verändert ist. Keine Ahnung was da draus wird, aber der Laden sieht tatsächlich aus wie gehabt - alles original 50er Jahre, selbst die Ladenschilder sind noch dran. Und ja, ich hatte kurz über ne Zweigstelle nachgedacht.

Die Messer haben dann zum Teil über diverse Kanäle - ein guter bzw. der interessante Teil auch über das MF - im Laufe der Zeit Abnehmer gefunden - die Hochwertigeren zumindest. Ich hab da noch paar Dutzend Lachs- und Schinkenmesser, falls wer dringend ein Solchiges braucht :))

Ich schau mal, irgendwo auf der Platte müssten Bilder sein der Räumung - wenn ich sie finde reiche ich sie nach. Direkt hier aber ein paar Bilder eines geringen Teiles der Ausbeute.

edit - ich finde die Bilder ums V.... nicht. Seltsam.
 

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Ferrazza, ja, vor dem Laden stand ich.
Und einige seiner Messer sind über den Entrümpeler Siebenstern bei mir gelandet! Eines hat eine gaaaanz weite Reise in die USA angetreten, sozusagen aus tiefem Staub der Ferrazza-Budike in die „Neue Welt“.
Das wird langsam zu einer hübsch sentimentalen Weihnachtsgeschichte🎅🥹

Abu
 
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