Frz. Klappmesser, ein „Brotzeit-Bowie“

Abu

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Das Z-Bechon hat @boogerbrain HIER vorgestellt. Inzwischen ist das sehr interessante Messer in meiner kleinen Franzosen-Ecke gelandet. Und wie immer, gibt mir Vintage durch die verbundene Recherche den besonderen Kick.

In Thiers gab es eine Manufaktur Bechon-Gorce. Im doch begrenzten Messerbusiness sollten Z-Bechon und jene Manufaktur in irgendeiner Verbindung stehen.
Im Katalog von BG finden sich auch Modelle mit dieser doch recht eindrucksvollen Klinge, deren Klingenbauch ca. 1,5 cm unter der Grifflinie liegt.

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Was mich immer interessiert: Was hat den ursprünglichen Besitzer bewogen, welchem Zeitvertreib ging er wohl nach, was könnte uns das Messer als Werkzeug oder Kulturgegenstand dazu verraten? Hilfreich ist da eine gedankliche Zeitreise um 100 Jahre zurück.

Dass es kein Arbeitsmesser ist, ergibt sich aus der hochwertigen Aufmachung: Elfenbeinschalen, verzierte Pins der Klingenachse.

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Franzose = Genuss, so würde ich mich annähern. Dafür spricht der obligatorische, kräftige Korkenzieher. Ebenso der „Räumer“ (Ahle mit scharfer Kante) für den Pfeifenkanal. Schick und eher untypisch ist das Federmesser in Form einer „Copingblade“ für präzise Kerbschnitte. Geht natürlich auch für die Nelke im Knopfloch oder die gespitzte Bleistiftfeder für einige amouröse Zeilen an seine „Madame Bovary“.

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Genussvolles Speisen dürfen wir keinesfalls vergessen - und das geht mit der ungewöhnlichen Hauptklinge ganz formidabel. Beim Schneiden auf einem Brett haben die Finger Raum.
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Selbst beim Schälen von Obst läuft die Klinge in das Schnittgut, ähnlich einem Tourniermesserchen.

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Einen Nagelhau sucht man auf der Vorderseite der Klinge vergeblich. Bei meinem Messer ist er rückseitig angebracht, obwohl man ihn bei der hohen und gut greifbaren Klinge gar nicht benötigt hätte.
Resümee: Genial, der frühere Besitzer war Kenner des Savoir-vivre. Stilistisch etwas verwegen, ist das Messer im Gebrauch „Käse, Baguette, Wein“ dem berühmten Laguiole klar überlegen. Und dennoch als Modell verschwunden. Ein bisschen zu viel „Bowie“ statt fließender Eleganz?
Abu
 
Wow, also chapeau mein ich natürlich! Gelungene Vorstellung, treffende Worte, schöne Gedanken und ein tolles Messer für einen Franzosen, bin echt beeindruckt!!!
 
Hallo Burghard,
ich habe mal im Couteaux de France geblättert, und dort das sogenannte 'Agenais' gefunden,
die also in der Stadt Agen im Südwesten gefertigt wurden, bis auch die Messerschmiede
dort Händler wurden, und Messer aus Thiers verkauften. Die Klingenform ist typisch für
das Agenais. Verschiedene andere Schmieden in Thiers haben die auch hergestellt,
in einer Katalog - Abbildung von Poyet - Sivet ist auch eines zu sehen.
Die Suche nach Couteaux Agenais hat mich dann hier hin geführt:
Couteaux de poche Agenais manche jambette - Couteau Régional (https://www.hommedesbois.fr/nos-couteaux-de-poche/couteaux-agenais-cf385.html)
BG habe ich auch gefunden, aber auch mit Suche auf Französisch kein ZB
Im Register des Buchs wird noch eine Manufaktur Bechon - Brunel, ebenfalls in Thiers, aufgeführt.
Vielleicht bringt Dich das ein Stückchen weiter.
Rudi
 
Last edited:
Danke Rudi, jeder Anstoß, jede Anregung helfen bei solchen Recherchen. Das ist wie Kriminalistik und reizvoll.
Ich hab aus dem Katalog von BG noch ein Bild ähnlicher Klingen an Jambettes.
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Abu
 
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Mein hier zunächst geposteter Beitrag war unvollständig, sorry!
 
Last edited:
Hallo Abu,

Wie immer von Dir ein umfassend und interessant formulierter Beitrag, den ich mit Freude gelesen habe ud der mich anregt, dazu einige französische Messerbücher zur Hand zu nehmen.

Aber hoppla, wie kommt es bei dem Messer zu der interessanten Veränderung des möglichen Hersteller?

boogerbrain nannte den Hersteller nach meiner Ansicht korrekt "Begnon" in Verbindung mit einem möglichen Markenzeichen "Z".
Auch ich identifiziere diesen Schriftzug sowohl im post von boogerbrain als auch auf Deinen exzellenten Fotos.

Du veränderst interessanterweise boogerbrains Firmierung von Begnon in Bechon und ziehst durch den veränderten Firmennamen einen Rückschluß auf einen ganz aneren Hersteller Bechon-Gorce.

Das Z-Bechon hat @boogerbrain HIER vorgestellt.

In Thiers gab es eine Manufaktur Bechon-Gorce. Im doch begrenzten Messerbusiness sollten Z-Bechon und jene Manufaktur in irgendeiner Verbindung stehen.

Gibt es hierzu belastbare Erkenntnisse? Ich vermute, dass Dir möglicherweise ein natürlich verzeihbarer Fehler mit der Firmierung unterlaufen ist.

Grüße
cut
 
Hallo cut,
Danke für dein Lob und den Namenshinweis. Ich kam mit Lupe zum damaligen Ergebnis eines „CH“ statt „GN“, habe daraufhin gesucht, fand Bechon, identische Klingen und sah zumindest einen Bezug (keine Identität!), da das Messerbusiness doch sehr eng verbunden ist.
Auch nach heutiger Prüfung sehe ich nichts anderes. Ich habe das Bild vergrößert, und kontrastreicher in sw nochmals beigefügt,

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„CH“! Das C ist doch sehr deutlich und beim H sieht man oben deutlicher, unten aber immer noch die rechteckige Aussparung gegenüber dem N mit der Schräge.
Gruß
Abu
 
Servus,
ich habe nochmal im 'Couteaux de France' geblättert. Im Register taucht ein Name
'Begnon' nicht auf, was natürlich nicht unbedingt was heißen muss.
Rudi
 
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Danke dir, Rudi! Das heißt aber immerhin soviel, dass es im Messerbusiness bisher ZWEI andere Bechons (außer meinem) gab, aber bisher keinen „Begon“. Hilft ja auch weiter….

Abu
 
... Das heißt aber immerhin soviel, dass es im Messerbusiness bisher ZWEI andere Bechons (außer meinem) gab, aber bisher keinen „Begon“. Hilft ja auch weiter….

Abu

Hier noch zwei zusätzliche "Bechon" Messerhersteller, damit Du Deine Recherchen etwas weiter ausdehnen kannst, Abu!

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Ets Dumousset_Bechon St_Remy_sur_Durolle.JPG


Grüße
cut
 
Hi Burghard,

mal wieder hast Du aus einer technokratischen Vorstellung (-> meiner ;)) eine formidable Geschichte gemacht und mit tollen Bildern garniert. Ich freue mich, daß das schöne Messer bei Dir gelandet ist - könnte mir niemand besseren dafür vorstellen.

Gibt es für die Verwendung der Ahle als "Pfeifenräumer" irgendwelche - sagen wir mal - Referenzen? Nicht, daß ich dem nicht zustimmen würde, ich wäre nur nie auf die Idee gekommen, eine Ahle mit Pfeifen in Verbindung zu bringen ...

Und wegen des Namens: Für mich war das "Begnon" - auch aus dem Grund, daß der Vorbesitzer es auch so angegeben hat. Ich will auch "Bechon" nicht ausschließen - OK, unter'm Strich ist es mir nicht sooo wichtig, ist ja jetzt Dein Messer 😁 - und hoffe, daß sich das vielleicht noch final klären läßt. Denn: Wenn man mal von den Laguiole-Dingern (*nix für ungut*) absieht, haben die Franzosen gerade im Vintage-Bereich schon eine Menge wirklich toller Messer zu bieten. Aber wenn ich jetzt noch tiefer in die französischen Jagdgründe eintauche, schlachtet mich meine bessere Hälfte vermutlich ... deswegen habe ich die beiden aus dem oben verlinkten Threat, wenn auch mittelschweren Herzens, abgegeben.

Gruß
Kai

PS.: Die Wurst sieht lecker aus ...
 
Hallo Kai,
Danke dir für das Messer, das mir wieder viele spannende Recherchen beschert hat und für deine obige Antwort.
Den Pfeifenräumer hab ich auch erst kürzlich hinzulernen müssen, sieh mal hier ab #8
Krusius - DAS VATERTAGSMESSER (https://messerforum.net/threads/krusius-das-vatertagsmesser.145095/#post-1125355)

Und ich hab mir tatsächlich auch eine alte Reservistenpfeife als Kaliber damaliger Zeit angesehen, passt!!!
Alternative Verwendungen an DIESEM Messer sehe ich auch nicht: als Pansenstecher zu dick und die scharfe Kante kontraproduktiv, für Lederzeug ginge es, aber als Arbeitsmesser ist das doch zu fein. Bliebe bei den Franzosen noch der Dorn, um in FRÜHEREN Zeiten den Weinschlauch anzustechen, als Flaschen noch zu teuer waren. Es gibt sowas aus Tradition an Regionalmessern (auch Laguiole), aber zu den Regionalen gehört es ja auch nicht.

Ja ich weiß, die Laguiols sind nicht dein Fall…, aber so voller Geschichten, dass ich gerade wieder dran bin.🥹

Mir fiel noch etwas zum Messer auf, ein fehlendes Teil. Es gibt keinen Kapselheber für simples Gesöff, sagt auch was! Also vom Besitzer verpönt, oder das Messer ist doch recht alt und die Kapseln noch nicht so zahlreich vertreten (seit dem Patent 1893).

Das Rikasso des Federmessers hab ich mir auch nochmals mit Lupe vorgenommen. Nicht einfach zu lesen, könnte JA88 sein und den Hersteller benennen. Vllt bekomme ich ja noch mehr raus.

Burghard
 
... Gibt es für die Verwendung der Ahle als "Pfeifenräumer" irgendwelche - sagen wir mal - Referenzen? Nicht, daß ich dem nicht zustimmen würde, ich wäre nur nie auf die Idee gekommen, eine Ahle mit Pfeifen in Verbindung zu bringen ...

Gruß
Kai

In französischen Messerkatalogen finde ich die lange Ahle an Taschenmessern als 'poinçon' = Pfriem

Pfriem poincon.JPG


Grüße
cut
 
Servus,
die Ahle diente ursprünglich zum Anstechen des Pansens von Rindern, wenn diese
sich an den falschen Kräutern überfuttert hatten. Sie findet sich an vielen
Regionalmessern, die hauptsächlich von Landwirten genutzt wurden,
auch am Yssingeaux, Bresssoire und Charlois (bekannt für die Charolais - Rinder)
ist sie häufig zu sehen. Wenn das Anschwellen des Pansens übersehen wurde,
konnte das Rind daran verenden. Die Ahle im Haus ersetzt den Veterinär, sozusagen.
Rudi
 
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