„Böhmischer Verlängerter“ und die geniale Erfindung zur Sicherung des Hosenstalles

Abu

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Es gibt Anbieter, die so ein Messer im Interesse besserer Vermarktung schon mal in die Kategorie „Bowie“ rücken. Imposant genug wäre es mit seiner Größe von ca. 21 / 29,5 cm (geschlossen/ offen), aber es ist ein jagdlich konzipiertes sog. Verlängerungsmesser.

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Die Klinge wird im geschlossenen Zustand durch den kleinen Pin gehalten, der in die Bohrung der Klinge greift.

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Zum Öffnen liegt der Federdrücker im Schild des Griffes. Geöffnet arretiert die Klinge ebenfalls, der Klingenlöser sitzt hinten auf dem Hebel der Feder, also klassisch. Das Messer ist entsprechend dem Jagdzweck äußerst stabil, Klingenstärke ist 5 mm. Und es ist trotz seines Alters in einem exzellenten Zustand, der Swing Guard gleitet sauber, nichts wackelt, kein Klingenspiel. Beim Griffmaterial vermute ich Holz.

Beim Hersteller bin ich mir absolut sicher, kleine Spuren des Stempels zeigen das gespiegelte F + Anker, also Franz Frenzel, Nixdorf/Böhmen - passend in meine Böhmische Messerfamilie. Alter „übern Daumen“ 100 Jahre, evtl. auch vor WK 1.
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Ungewöhnlich gut erhalten ist auch die orig. Lederscheide, die regelmäßig die Alterung nur schlecht übersteht.

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Sie ziert an der Schließe ein vermeintlicher „Allerweltsartikel“. Man schaue sich nur einmal diese komplexe Konstruktion an!

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In Böhmen gab es Manufakturen für Kurzwaren. Deshalb vermute ich, dass es sich um einen „Original Böhmischen Druckknopf“ handelt - man wird doch nicht bei Preußen gekauft haben!?

1885 ließ sich ein H. Bauer aus Pforzheim seine Erfindung zum Zweck des „gesicherten Schließens des männlichen Hosenstalles“ patentieren. Hielt die Böx nicht dicht? Jedenfalls kein Erfolg. Erst die verbesserte Version mit eingelegter Feder (eigentlich unfassbar!) brachte 1903 dem Stolberger Unternehmer Prym den Durchbruch, die existiert bis heute. Ich hab Prym zwecks Erkenntnissen zu meinem Modell mal angeschrieben, leider ohne Antwort.

Sollte dieser böhmische Druckknopf sein Geheimnis auf ewig bewahren? Eines kann man sagen: Wer einen „Böhmischen Verlängerten“ sicher in der Scheide hält, dürfte auch sein männliches Pendant am Hosenstall den ungewollten Austritt verwehren!

Abu
 
Herzlichen Glückwunsch zum schönen Stück und vielen Dank für den kurzweilig geschriebenen Bericht!

Gruß
lvk
 
Kompliment, Abu,
ein wahrlich imposantes "Taschenmesser" von Franz Frenzel, und Deine Recherche zum Detail „Original Böhmischen Druckknopf“ überrascht mich inzwischen nicht mehr!

... Kategorie „Bowie“ rücken. Imposant genug wäre es mit seiner Größe von ca. 21 / 29,5 cm (geschlossen/ offen), aber es ist ein jagdlich konzipiertes sog. Verlängerungsmesser.

... Beim Griffmaterial vermute ich Holz.

... Alter „übern Daumen“ 100 Jahre, evtl. auch vor WK 1. ...

Abu

Ein Franz Frenzel Musterbuch aus dem Jahr 1905 zeigt den kleineren und größeren Bruder zusammen mit weiteren eindrucksvollen Verlängerungsmessern und einem Bowie.

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Aber auch Anbieter aus Solingen konnten sich im internationalen Messergeschäft mit vergleichbaren Exemplaren messen,
hier z.B. Gottlieb Hammesfahr:
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Grüße
cut
 
Eines kann man sagen: Wer einen „Böhmischen Verlängerten“ sicher in der Scheide hält, dürfte auch sein männliches Pendant am Hosenstall den ungewollten Austritt verwehren!
... interessante Formulierung ... :LOL: ... und eine tolle Vorstellung eines tollen Messers!
 
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Danke euch für die Rückmeldungen!

@cut
Und dir noch besonders für die ergänzenden Bilder, die mich zu weiterer Recherche mit den Details veranlasst haben. Erstmal finde ich die Datierung deines Katalogs von Frenzel wichtig, der mir verfügbare hat leider kein Datum. Aber beide Kataloge zeigen Verschlüsse der Scheiden in der Art eines Gürtelverschlusses, damit wäre Druckknopf schon wieder special, mal unabhängig von Chronologie. Die Artikelnummer ist identisch geblieben.
Lustig ist die Schreibweise „karriert“, die in meinem „carrirt“ heißt - Sprachentwicklung oder -verwirrung?

Holz oder Horngriffschalen? Bei Frenzel steht im Katalog nur „H“. Ich neige jetzt zum Horn. Warum? Die Hammesfahr Verlängerten haben Horn, aber auch bei dem anderen großen böhmischen Hersteller Drasche ist Horn im Katalog ausgewiesen. Und die Böhmen hatten sehr identische Produkte.

Auszug DRASCHE:

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Gruß
Abu
 
Die unterschiedliche Ausführung der Sicheung an der Gürtelscheide war mir auch bereits aufgefallen, der ungewöhnliche Druckknopf hat offenbar due klassische Schnalle ersetzt.
Das 'H' in Verbindung mit der Artikelnummer interpretiere ich auch als "Horn" (Büffelhorn), passend zu den identischen Beschreibungen in diversen Musterbüchern deutscher Hersteller.

Die Schreibweise "carrirt" habe ich auch aus älteren deutschen Katalogen in Erinnerung, sie entspricht offenbar einer Epoche, in der z.B. folgende Begriffe verwendet wurden:
Brodmesser
Cartonmesser
Cigarrenabschneider
Confectmesser
Pincette
Radirmesser
Rasirmesser
Scheere
Stahlwaaren
Tranchirmesser

Grüße
cut
 
Danke @cut, so komme ich Stück für Stück voran wie bei dem Horn als Griffmaterial.

Abu
 
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