AW: Gradentstehung durch Abziehstahl
Die Gratbildung beim Schärfen ist sicher ein recht komplizierter Vorgang und man wird verschiedene Faktoren berücksichtigen müssen. Für mich stellt sich die Sache so dar:
Ein Grat im eigentlichen Sinn ist ein dünnes Stück der Schneidenspitze, das noch Verbindung zur Schneide, aber keinen richtigen Halt mehr hat und hin und her wabbelt. Ein solches Ding hat an einer Schneide nichts verloren. Die alten Handwerker haben einen solchen Grat durch kräftiges Aufdrücken und Abziehen auf einem Stück Holz abgestreift.
Ein Grat dieser Art entsteht bevorzugt, wenn man von der Schneide wegschleift, also z.B. mit einem rotierenden stein schleift, der von einem wegläuft. Ich schleife meist mit einem Schleifstein aus einer Zimmererwerkstatt vor, der mit ca. 60 Umdrehungen in der Minute in Wasser läuft. Dabei bildet sich bei längerem Schleifen und kräftiger Materialabnahme eine bis 2 mm lange Fahne vor der Schneide. Diese Fahne oder dieser übertriebene Grat verschwindet, sobald man mit einem Bankstein verfeinert und mit der Schneide voraus schärft. Ein gewisser, jetzt aber kaum sichtbarer Grat bildet sich auch dabei und zwar, wie richtig bemerkt worden ist, durch das plastische Verbiegen der Schneidenspitze. Geht man mit wenig Druck über einen feinen Stein, wird dieser Grat verschwinden.
Dabei verhalten sich unterschiedliche Schleifmittel aber unterschiedlich. Weich gebundene Steine werden selbst von der Schneide etwas angeschnitten und biegen dadurch die Schneidenspitze nach oben, mit der Folge, daß doch wieder ein gewisser Grat entsteht. Die sehr hart gebundenen Steine zeigen diese Erscheinung nicht.
Meine persönliche Erfahrung ist, daß ein feinstes Abziehen auf einem schwarzen Rasiermesserstein eine bissigere Schärfe als das Abziehen auf dem Lederriemen ergibt. Gerade der Lederriemen ist ja weich und führt zu einer Verrundung der Schneide im my-Bereich.
Wenn man den Wetzstahl richtig einsetzt, also die Klinge im spitzen Winkel von der Spitze des Stahls Richtung Griff führt und nur leicht andrückt, wird ein vorher entstandener grober Grat beseitigt und ein neuer kann eigentlich nicht entstehen. Anders sieht es aus, wenn man die Klinge mit dem Rücken nach vorn über den Stahl zieht und kräftig aufdrückt.
Grundsätzlich gilt: Je feiner das Schleifmittel und je leichter der Druck umso weniger Grat.
Die Härte hat mit der Gratbildung nur mittelbar zu tun. Bei sehr feinem Gefüge von Matrix und- falls vorhanden- Karbidkorn ist die Zähigkeit des Gefüges groß auch wenn der Stahl sehr hart ist. Als Beispiel will ich hier nur die induktiv gehärteten Zahnspitzen hochwertiger Sägen nennen, die bei ca 70 HRC die hohe spezifische Beanspruchung ertragen. Der durch das Schleifen erzeugte Grat wird also auch bei hoher Härte nicht so schnell von der Schneidenspitze wegbrechen. Wenn ich beim Schärfen mit dem rotierenden Schleifstein bemerke, daß sich ein deutlicher langer und langanhaftender Grat bildet, freue ich mich, weil das für mich ein Zeichen eines feinen Gefüges ist. Ich rede hier wohlgemerkt von Härten von 64 HRC und darüber.
Ein durch falsche thermomechanische Behandlung grobkörnig gewordenes Gefüge ist dagegen per se spröde und verträgt auch und gerade im Bereich feinster Schneiden keine plastische Verformung. Der entstehende Grat wird also schnell wegbrechen. Ähnlich verhält es sich mit Ledeburitstählen mit extrem hohem Anteil an Karbiden. Große Karbide finden in der Matrix keine ausreichende Stütze und brechen weg. Hat der Stahl nach dem Härten noch mehr als 30 % Karbidanteil, ist es klar, daß diese Karbide, selbst wenn sie selbst relativ fein sind, wenig Stütze haben und leicht herausbrechen. Auch hier wird also nur ein kurzer, schartiger Grat entstehen.
Daß beim Schärfen zunächst ein Grat entsteht, ist also kein schlechtes Zeichen, man muß nur wissen, wie man ihn wegkriegt.
MfG U. Gerfin