Kohlenstoffstahl normalisieren: Unklare Temperaturangaben

Kanna

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Hallo, ich möchte mir ein breiteres Hand-Hobelmesser herstellen.
Mein ausgesuchter Stahl ist der Kohlenstoffstahl: 1.2510 (O1) mit C=0,95; Si=0,2; Mn=1,2; Cr=0,6; W=0,6 und V=0,1.
Vor dem Härten und Anlassen möchte ich den Stahl Normalglühen, da er ja in der Regel gewalzt ist und u.U. Gefügeveränderungen aufweist. Und schaden kann eine Kornverfeinerung sowie verbesserte Gefügeeigenschaften ja nicht.
Allerdings komme ich mit den im Netz gefundenen Temperaturangaben nicht klar. Folgende Aussagen beruhen, von mir eingeschätzt, auf vertrauenswürdigen Quellen.
Aussage 1:
Bei Stahl mit mehr als 0,8% Kohlenstoff liegt die notwendige Temperatur Theoretisch etwas (ca. 30 bis 50°C) oberhalb der GSK Linie im Eisen Kohlenstoff Diagramm.
Die GSK-Linie im EK-Diagramm zeigt hier 723°C. Also wäre die Normalisierungstemperatur ca. 760°C.
Das haben auch einige Leute in YTube-Videos so gesagt.
Aussage 2:
Übereutektoide Stähle werden für das Normalisieren dicht über den oberen Umwandlungspunkt von A1 aufgeheizt. Dazu habe ich mir folgendes angelesen:
Es gibt neben dem EK-Zustandsdiagramm noch ein Fe-C-Si-Zustandsdiagramm. Dies wird eingesetzt, wenn die Phasenumwandlung in einem Temperaturintervall abläuft (vor allem bei Stählen mit Legierungsbestandteilen).
Dabei spaltet sich die Umwandlungstemperatur A1 in eine untere Ac1.1 und eine obere eutektoide Temperatur Ac1.2 auf. Dieser Temperaturbereich (Hysterese?) ist auf die Legierungsbestandteile des Stahls, und dabei vor allem den Anteil von Silicium zurückzuführen.
In diesem Diagramm hat Ac1.1 eine Temp. von ca. 780°C. und Ac1.2 eine Temp. von ca. 810°C.
Somit hätte der obere Umwandlungspunkt von A1 (also Ac1.2) eine Temperatur von ca. 810°C. Damit entspräche die Normalisierungstemperatur ziemlich genau der Härtetemperatur.
Und diese Temperaturangabe wiederum habe ich von einigen Leuten in Foren so gelesen.

Kann jemand bitte die richtige Temperatur für das Normalisieren des Stahls 1.2510 (O1) nennen?
Danke.
 
Hallo Kanna, und willkommen im Forum!


Es wird sich bestimmt noch jemand dazu melden, der konkreteres zu O1 sagen kann! Ich vermute mal, dass du einen Elektroofen mit Steuerung zur Verfügung hast.... Der Schmiedemeister, der mir in jungen Jahren das Schmieden/Härten beigebracht hat hatte das nicht, brachte aber erstaunlich gute und feine Gefüge zustande! Erfahrung hatte er ja, aber auch zum Teil der Not geschuldet.....
Wir haben die Werkzeug und Carbonstähle nach Glühfarben in der dunklen Schmiede gehärtet und angelassen! Aber Normalisieren war Pflichtprogramm:

Gerade so erhitzen, dass der Stahl nicht mehr magnetisch ist- langsam abkühlen lassen in einer Kiste mit Fettnuss/Hammerschlag Pulver.... das ganze 2-3 mal hintereinander..... Funktionierte immer, auch bei höher legierten Werkzeug- und Lagerstählen!

Warum ich das erzähle? Obwohl ich mittlerweile Dr. Larrin Thomas´ Buch und durch J. Schanz professionell gehärtete Klingen kenne, bin ich der Meinung, dass du dir keinen Kopf wegen ein paar Grad beim Normalisieren von 1.2510 machen musst!


Lg
 
Vielen Dank Mr.Hw35 für deine Anwort.
Ich denke, du hast vollkommen recht. Temperaturangaben sind von Stahl zu Stahl unterschiedlich. Die Magnetprobe aber bezieht sich auf den Stahl den man gerade hat, und funktioniert demnach immer. So haben die alten Meister schon die richtigen Schlüsse gezogen, natürlich aus der Not geschuldet.
Ich komme aus dem Maschinenbau (Techniker) und habe konstruktiv gearbeitet. Diese Arbeit hat aber mit dem Ursprung und der Herstellung des Materials nichts mehr zu tun. Hier sucht man einen Stahl aus Tabellen aus. So bin ich die Sache ja dann auch hier angegangen.
Eine Gas-Esse werde ich mir aufgrund der vielen guten Anleitungen im Netz selber bauen. Zur Temperaturüberwachung habe ich ein Keramik-Thermoelement (Typ-K) für extrem hohe Temperaturen vorgesehen.
Mich zieht es im Moment sehr in Richtung Holzbearbeitung, dazu brauche ich auch das Hobeleisen, und später dann auch noch weitere spanabehbende Werkzeuge. Das Hobelmesser sollte sehr scharf geschliffen werden können, da ich mit dem Handhobel feine Holzfurniere herstellen möchte. Das zu hobelnde Material besteht aus zu Mustern zusammengesetzen (geleimten) Hartholzstücken.
Eine Frage noch: Wie, und vor allem wo machst du den Magnettest. Würdest du diesen in der Esse machen, da hier die Temperatur noch unverfälscht ist? Nach dem Herausnehmen und den Magneten ansetzen, hat sich das Metall ja bereits abgekühlt. Aber auch hier kann ich das ganze nicht einschätzen, und würde gerne deinen Rat in Anspruch nehmen.
Viele Grüße
 
Hallo! Du hast ja nicht nur C in deinem Stahl sondern andere Legierungselemente, das verändert schon wieder einiges. Dazu kommt, dass theoretische Angaben die für geeichte Härteöfen gedacht sind, nicht unbedingt auf deinen Ofen zutreffen muss. Also wenn du das "Beste" aus deinem Stahl herausholen willst, dann musst du mit deinem Ofen experimentieren...aber das ist nicht nötig weil,: so wie der stahl kommt, ist er gut genug um ihn sehr gut zu härten, so gut, dass du nur in einem langlaufenden Test einen großen unterschied messen würdest (immer vorausgesetzt du hast deine härterei nicht völlig verratzt).
Man kann sich hier leicht von Profis in allerlei Dingen den Spaß am machen verderben lassen, aber das sollte man nicht! Tatsächlich ist Stahl (das wurde hier schon von vielen Profis bestätigt) ein wunderbares Material und wird auch dann noch super Arbeit leisten, wenn man ein paar Grad daneben liegt beim härten.
Und wie mein Vorschreiber schon sagte, viele Schmiede haben nur bei Auge und Erfahrung, seit beginn der Eisenzeit, Stahl hergestellt und gehärtet ich sage nur Ulfbert, Masamune usw...lol
Also viel spaß beim machen und experimentieren.
 
irgendwie mag keiner von daher will ich mich mal versuchen ;

Ich habe das Gefühl, dass beim Thema Glühen oft einmal mehrere Sachen miteinander vermischt werden.
Ziel ist natürlich eine Gefügeverbesserung oder -Reparatur. Und ein möglichst günstiges Gefüge für die anschließende Härtung zu schaffen, wobei das auf das Normalisieren gar nicht mal so allgemeingültig oder sogar eher wenig zutrifft.

Ob das sinnvoll und notwendig ist, hängt vom Ausgangsgefüge ab, das vorliegt. kauft man Stahl als Band - sprich Flachmaterial, so ist das in der Regel weichgeglüht und somit einfach so in einem ordentlichem Zustand für eine Härtung. Man kann da vlt. noch ein Quentchen rausholen bei einer vorausgehenden Glühbehandlung, aber man kann bei falschem Vorgehen mehr kaputtmachen als gewinnen - ich mache es bei bekannt weichgeglühtem Ausgangsmaterial nicht.
Bandstahl, also Flachmaterial ist natürlich in der Regel gewalzt, wird dann aber im Stahlwerk weichgeglüht, sodass eine eventuell vorhandene Zeiligkeit des Zementits zumindest aufgelöst wird und die Karbide in kugeliger Form im Ferrit liegen bei übereutektoiden Stählen wie dem O1 z.B. - ein optimaler Zustand für die anschließende Härtung.
Dies erst einmal zur Sinnhaftigkeit des Normalisierens oder Glühens vor dem Härten generell. Also als erstes muss man sich der Frage nach dem Zustand des Ausgangsmaterials widmen.

Dann gibt es zwei Sachen - wie ich oben schon geschrieben habe - die eine Rolle spielen wenn ich ein möglichst optimales Ausgangsgefüge für ein Härtung haben möchte.
Zum einen ist das die Korngröße und zum anderen die Größe und Verteilung der Karbide im Gefüge.

Normalisieren im eigentlichen Sinn hat in erster Linie Einfluss auf die Korngröße und bei anschließender Abkühlung an Luft würde ein perlitisches Gefüge - sprich Zementitstreifen in Ferrit entstehen - was wiederum nicht optimal für eine Härtung ist. Bei jedem Durchlaufen der Umwandlung zu Austenit - was beim Härten ja der Fall ist - wird aber eh das Korn neu gebildet. Insofern mal zum nächsten Punkt:
Wesentlich entscheidender ist meistens die Größe und Verteilung der Karbide. Hier spielen dann die Legierungselemente ebenfalls eine Rolle. Will man auf die Karbide in Größe und Verteilung Einfluss nehmen, muss man sie in Lösung bringen und dann auch wieder sich ausscheiden lassen. Je nach karbidbildendem Element sind die Karbide thermisch mehr oder weniger stabil und die Größe der Atome behindert zudem diese Diffusionsvorgänge. Daher steigt dann auch die Härtetemperatur mehr oder weniger stark an je nach Legierung gegenüber reinen Kohlenstoffstählen. Hier pendelt man praktischerweise ebenfalls um A1, um gezielt die Karbide in Lösung zu bringen und dann in möglichst feiner Form und gleichmäßiger Verteilung wieder auszuscheiden. Bei kontrolliert langsamer Abkühlung entsteht dann kugeliger Zementit in Ferrit - was optimal für eine anschließende Härtung ist. Hört sich super an und eigentlich ganz einfach, aber es gehört schon einige Erfahrung in der Praxis und Kenntnis über die konkrete Legierung und sein Equipment dazu, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Temperaturen und Haltezeiten müssen schon passen damit das was wird.
Wie am Anfang schon geschrieben, sehe ich bei einem an sich bekannt ordentlich weichgeglühtem Ausgangsgefüge eher wenig Sinn und habe da mehr die Gefahr der Verschlimmbesserung im Kopf.

Ich denke - um den Bogen mal zu schließen - dass des öfteren Normalisieren, Weichglühen und Glühen auf kugelige Karbide oder kugeligen Zementit - GKZ - in einen Topf geschmissen werden und so dann auch die Angaben zu unterschiedlichen Temperaturen zu Stande kommen.
 
Das Wesentliche hat xtorsten ja formuliert. Wenn man sich im Datenblatt z.B. von Dörrenberg http://www.dorrenberg.es/download/aceros/DOE/1.2510_deu.pdf mal das ZTU-Schaubild ansieht, so sieht man, dass man so nicht einfach die Perlitnase durchschneidet mit zweimaligem Umwandeln, was der gewünschte Effekt wäre, sondern man landet im Bainit, gegebenenfalls sogar im Martensit bei solchen Stählen.
Wenn man Stahl im Zustand weichgeglüht kauft, so hat der ein für die Härtung optimales Ausgangsgefüge mit feinem Korn und fein verteilten Karbiden. Solange man keine thermomechanische Umformung einbringt, ist der Versuch eines Normalglühens wenig produktiv. Und in der Tat, die Temperatur liegt oberhalb der unteren Umwandlungslinie, um der Gefahr der Grobkornbildung vorzubeugen.
Also, beim Stock removal eher kein Normalglühen.
Sehr schön erklärt ist das in dem Buch
Dr. Volker Läpple, Wärmebehandlung des Stahls - Grundlagen, Verfahren und Werkstoffe, Verlag Europa Lehrmittel, 8. Auflage 2003, Seiten 92 bis 95. Schaubilder hats da und Erklärungen. Und auch die Unterscheidung zwischen untereutektoiden und übereutektoiden Stählen wird dort näher erläutert.
Natürlich auch in anderen Büchern, aber "der Läpple" ist ein feines Buch. Mal sehen, wo der steckt, dann mach ich mal ein paar Fotos von den relevanten Seiten.
 
Da steckt Arbeit drin. Sieht gut aus.

Das Glühen nimmt auch Spannung raus. Gerade bei einem Stanzteil.
Auch die Anlaßfarben können gewollt sein.

Welche unterschiedlichen Temperaturen oder Temperaturbereiche werden denn angegeben?
Stahl gibt es doch schon sehr lange.
Das Tabellenbuch Metall gibt doch die Temperaturbereiche vor.
(Kohlenstoff Diagramm. Da habe ich immer einen Bogen drum gemacht.)
Und jeder Lieferant von Legierungen muß doch Datenblätter für die Verarbeitungen beilegen oder nachreichen.

Zudem ist bei einem Aufheizofen nicht nur die Temperatur, sondern auch die Haltezeiten an mehreren Temperaturpunkten
beim Aufheizen und beim Abkühlen wichtig für die Qualität des Produktes.
Und wo in der Kammer des Ofens Du das Teil plazierst. An der Tür, ganz hinten oder unter dem Temperaturfühler.

Und auch für Härteöl oder Pulver muß doch die Eintauch-Temperatur angegeben sein.

Bei unterschiedlichen Temperaturangaben ist auch die Meßwertermittlung zu hinterfragen. Sind die Meßmittel geeignet, geeicht und richtig benutzt worden.
Welche Kurve hat der Fühler.
Es gibt von den Materiallieferanten und Ofenherstellern Probekörper, die genau bei einer bestimmten Temperatur zerfallen. Dann kann man die angezeigte Temperatur
mit dem signalisierten Wert vergleichen.

Einen schönen Tag noch
Pietje
 
Das mit den Zerfallskörpern ist interessant. Kenne ich gar nicht. Gibts da mehr Informationen?
 
Na ja, Materiallieferant, Ofenhersteller oder Fachhandel.
Depots in der Dentalbranche kannst Du anrufen oder online schauen.
Kavo oder Heraeus sollten ebenfalls was haben.
Beim Goldschmied oder sogar Uhrenmacher nachfragen.

Was soll ich dazu sagen? Wenn Du die Anzeige und Brennkammer nicht gleichzeitig im Auge haben kannst, stelle eine Kamera mit Fernauslöser auf, peile die Anzeige damit an und schaue in den Ofen. Zerfällt der Kegel, drückst Du den Auslöser. Nicht umgekehrt! In Infrarotstrahlung kann den Fotosensor der Kamera beschädigen.
Das ist ja nur eine Info über einen Punkt im möglichen Temperaturbereich.
(100°C kannst Du mit einer Schale Wasser überprüfen. Achte auf Deine Höhe über Null. Weiter oben kocht es schneller.
Das wird aber im nichtlinearen Bereich des Reglers liegen.)
Den vergleichst Du nun mit der Kurve des Reglers. Liegt der Punkt im linearen Bereich des Reglers, kannst Du so Aussagen zu den Temperaturpunkten machen, die für Deine Legierung wichtig sind.

Pietje
 
Last edited:
So wie ich hier jetzt für mich zusammenfassen kann,
- scheint ein Normalisieren bei meinem gewählten Stahl und Stock Removal nicht unbedingt erforderlich zu sein.
- Beim Schmieden oder ähnlicher Bearbeitung dagegen schon.
- Beim Normalisieren kommt es nicht nur auf die Temperatur an, sondern auch einige andere Faktoren können, falsch angewendet, sich sogar negativ auswirken.
- Das Normalisieren hätte bei meinem gewählten Stahl, auch wenn alles richtig gemacht würde, kaum eine spürbare Verbesserung auf das Endergebnis.
- Selbst herausfinden was am besten passt. Wenn es passt ist es gut, ansonsten wie beim Espresso zubereiten im Siebträger, einfach immer nur einen Parameter etwas verändern, und die Auswirkungen beobachten.
Demzufolge werde ich als erstes mal ein Hobelmesser nur Härten und Anlassen. Danach werde ich sehen.
Ihr alle habt mir sehr geholfen, dafür möchte ich mich bedanken! Ich gehe die Sache jetzt etwas entspannter an.
Für Ratschläge, z.B. alternative Stahlsorten, oder welche Härte für ein spanendes Holzbearbeitungswerkzeug (mehr oder weniger HRC) anzustreben ist, bin ich weiterhin interessiert. Ansonsten noch einmal vielen Dank.
Kanna
 
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