Anlassversprödung am Erl

W0mba

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Hallo,
im Maschinenbaustudium hatte ich einen Kurs über Werkstoffkunde der Metalle und in dem wurde uns eingebläut, dass bei der Vergütung von Stählen gewisse Temperaturbereiche beim Anlassen zu meiden sind, da andernfalls die Zähigkeit abfällt. Genau die Zähigkeit ist ja aber absolut wünschenswert bei Messerklingen.
Im praktischen Messerbau (z. B. bei den Prachtexemplaren von Kamon, oder auch bei einigen Japanern, bei denen der Erl in den Holzgriff "eingebrannt" wird) sieht man nun aber genau den Verlauf der Anlassfarben zwischen Klinge und Erl - einem allein von der Geometrie her unvermeidbarem Schwachpunkt. Selbst wenn der Erl dabei über den Bereich der Versprödung angelassen wird, muss es doch ein Band im Gefüge zwischen Erl und Klinge geben, in dem genau die Wirkung der Verspödung auftritt. Zusätzlich sieht man oft bei Youtubevideos von Messermachern, dass sie gerade die Stellen im Erl besonders stark anlassen, wo nach dem Härten Bohrungen stattfinden. Aber genau Bohrungen stellen ja sowieso schon Kerben mit erhöhten Spannungen dar.

Ich erinnere mich noch, dass man die Versprödung durch gewisse Legierungszusätze verringern kann. Aber wird darauf überhaupt wirklich geachtet?

Ich würde mich sehr über eine Einordnung dieser theoretischen Problematik freuen und ob ich evtl. einfach etwas übersehe.

Vielen Dank im Voraus!
 
Du liegst absolut richtig. Blauversprödung ist nicht so gut, übrigens ist es ein Problem, dass ich kein Messer damit kaufen würde. Im Kontext von Sammler-Küchenmessern, die nicht wirklich für harte Arbeit gedacht sind, kann das meiner Meinung nach übersehen werden. Man könnte auch über im 90 Grad geschliffene Tangs als eine Art Sollbruchstelle streiten. Diese Tatsache in Kombination sollte ein No Go sein.
 
Was Küchenmesser betrifft kann man da getrost vergessen, dass es sowas wie Blauversprödung gibt, es seiden man mißbraucht es als Outdoormesser, oder plant damit zu Hebeln. Küchenmesser sind zum schneiden gedacht, Küchenbeile zum Hacken und Japanischemesser werden so seit sehr langer Zeit hergestellt und sind nicht bekannt, dass sie beim Tomatenschneiden am Erl abbrechen...
 
@Rollingstoned vielen Dank für Deine Einschätzung!
Ich habe mich immer gewundert, warum so hochpreisige Messer einen so offensichtlichen Fehler haben. In dem Segment geht es ja wirklich nicht mehr um "funktioniert" sondern um den höchsten Anspruch. Irgendwann dachte ich dann, dass der Fehler in meinem Verständnis liegen müsste, weil so viele Messermacher so handeln und es so wenig Besitzer stört. Aber gut, dann sehe ich das weiterhin als vermeidbaren Mangel bei trotzdem sehr guter funktion an.

@Hamurra-e Für ein Funktionsmesser würde ich das ähnlich sehen. "Wenn es funktioniert, dann hat es recht" aber bei den Messern von Kamon ist es komplett vermeidbar und dann noch an der schlechtmöglichsten Stelle. Für mich ist es als wäre ein Kunststoffspritzgussgriff an so einem Messer. Funktioniert ja. Aber es würde nicht meinen Vorstellungen in dem Segment entsprechen.

@Hermann Das sollte gehen, die geringe Menge Zunder verändert die Maße nicht zu stark. Nach meinem Verständnis wäre aber auch eine Option den Erl einfach nicht mitzuhärten. Zumindest ich kenne keinen Versprödungsmechanismus in diesem Fall. Und die fehlende Härte würde die Steifigkeit des (evtl. dünnen) Erls auch nicht beeinträchtigen, da der E-Modul härteunabhängig ist. Lediglich die plastische Verformung würde früher eintreten, aber damit sich der Erl verbiegen würde, müsste man sich schon gut anstrengen.
 
Die Zähigkeitsverluste sind abhängig vom Stahl z.T. signifikant. Wenn aber ein Griff für den Anwendungsfall vernünftig konstruiert ist, die Angel sauber eingepasst wurde und beim Schmieden/Härten nichts schief gegangen ist, kann man eine Anlassversprödung m.M.n. vernachlässigen. Wer pfuscht, dem hilft auch ein warmfester Stahl nichts.

Stichwort warmfest. Natürlich gibt es solche Stähle. Im Bereich der für Messer in Frage kommenden Stähle ist eine überdurchschnittliche Warmfestigkeit aber eher ein Nebeneffekt. Extrembeispiel Rex121. Aber nur des Einbrennens der Angel wegen einen hoch warmfesten sündhaft teuren Rex121 zu wählen wäre Unsinn.

Jenseits der Turbofabrikfertigung spielt der Faktor Warmfestigkeit bei der Auswahl des Stahls für alle Messer, mit denen man keine glühenden Eisen abschert oder hohe Schnittgeschwindigkeiten fährt, eine untergeordnete Rolle. Eine gesteigerte Warmfestigkeit birgt ggf. eine Menge Nachteile, sowohl bei der Fertigung als evtl. auch beim Anwender. Nicht selten z.B. auch eine geringere Zähigkeit bei Raumtemperatur, als Stähle die vergleichsweise weniger warmfest sind, selbst nachdem sie eine Anlassversprödung erfahren haben.
 
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Wenn man nur von Japanischen und Traditionellen Klingen spricht, dann ist der Erl tatsächlich nicht mit gehärtet. Außerdem werde diese Klingen aus 2 oder 3 lagenstählen hergestellt und meistens so, dass der Erl nur aus unhärtbaren Eisen besteht. Das Differenzielle Härten ist ja Das Ding bei Japanischen Klingen aller Art, das war aber früher auch Weltweit ein Ding. Man hat nur die Hamon nicht extra heraus gekitzelt.
 
Das ist ein interessanter Hinweis: es kann gut sein, dass die Verfärbung nicht vom Anlassen oder Erl einbrennen stammen, sondern vom Härten, oder?
 
@xtorsten das scheint mir unwahrscheinlich, da die Verfärbungen typischerweise durch hohe Temperaturen entstehen (je nach Temperatur, andere Verfärbung).
In den von mir beobachteten Fällen, waren die Verfärbungsbereiche sehr nah bei einander, was auf einen sehr steilen Temperaturgradienten schließen lässt, welcher sich nach meiner Einschätzung nur mit aktiver Kühlung auf einer Seite erreichen lässt. Diesen Aufwand würde man vermutlich nicht für den Erl, sondern nur für die Klinge betreiben, was bedeutet, dass die Klinge vor Hitze geschützt wurde -> der Erl wurde erhitzt. (Etwas kompliziert ausgedrückt, ich hoffe, dass man dennoch folgen kann)
 
@Hamurra-e Das ist wirklich interessant und dann ja auch sehr hochwertig umgesetzt. Im Grunde auch nachhaltig - nur das hochwertige Material an den Stellen verwenden, an denen es gebraucht wird. Die Japaner haben es einfach wirklich raus aus Funktion Kunst zu machen.
 
Das mit der Kunst unterschreibe ich ungesehen, aber unsere westlichen Vorfahren haben es genauso gemacht! Erst als Stahl in Mengen produziert werden konnte und Arbeitszeit "der Kostenfaktor" wurde, war es günstiger Werkzeuge aus einem Stück stahl herzustellen, aber In Asien und in der Heimischen Werkstatt, wird das oft noch praktiziert.
Differenzielles Härten zB
 
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