1.2519 wurde nicht hart! Mein erstes Mal... Jemand Erfahrung?

Tim H.

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Hallo liebe Messerfreunde, Messermacher und Schmiede!
Da dies hier auch mein erster Beitrag ist, zuersteinmal ein paar Worte zu mir:

Mein Name ist Tim Heuser, ich bin 26 Jahre alt und studiere seit.... naja viel zu lange schon Maschinenbau mit Schwerpunkt Energie- und Antriebstechnik.
Ich komme aus einer Kleinstadt in Hessen, wohne derzeit aber auf dem Lande.
Da ich neben meiner Hauptberufung, der eher theoretischen Naturwissenschaft, das Handwerk absolut liebe und in vielerlei Ausprägung praktiziere, habe ich kürzlich angefangen meinen Traum vom selbst gemachten Messer zu verwirklichen.
Dazu habe ich aber mangels Ausrüstung und wie es von einem Studenten zu erwarten ist, mangels Geld, den Schritt des Schmiedens übersprungen und mir meinen Wunschstahl als Flachstahl bei www.nordisches-handwerk.de bestellt.

Konkret handelte es sich um einen 1.2519 mit den Maßen 300x40x5 mm, also einem ordentlichen Brocken, da ich ein Outdoormesser für den rabiaten Gebrauch mit einer Klingenlänge von etwa 12 cm herstellen wollte.
Der Stahl kam weichgeglüht und hoffentlich normalisiert bei mir an.

Da ich mit Flex, Feile, Bandschleifer, Standbohrmaschine (Alles kein Profiequipment leider) und Schleifstein kein Anfänger bin, gelang mir der Bau der Klinge auch erfreulicherweise gut.

Die Klinge ist etwa 3 cm hoch, der Schliff ein Flachschliff von etwa 2-2,2 cm, die Flachangel ist niedriger, sodass die Schneide ähnlich wie bei einem Santoku frei aufliegen kann (naja, solange keine Hand den Griff umschließt). Angepasste Fingermulde war Pflicht.

Als ich nun an dem Punkt angekommen war, dass mir die Klinge zu filigran wurde um sie im weichen Zustand weiter zu bearbeiten, denn jeder Feilenhub konnte nun irreparable Schäden erzeugen, entschied ich mich die Klinge zu härten.
Von dem Datenblatt des Händlers, sowie einem Datenblatt aus dem Netz und den identischen Daten von schmiedeglut.de entnahm ich, dass die Klinge bei 800-830°C in Öl abzuschrecken sei.
Als Maschinenbauer gehört natürlich auch die Materialtechnologie zu meinen Pflichtkursen, und so sind mir die Basics der Wärmebehandlung bekannt und genaueres Wissen zumindest in meinen Unterlagen irgendwo zu finden. ;)
Aus Ergeiz und meines Egos wegen, entschied ich mich also die Härtung selbst durchzuführen, also die Klinge nicht dafür weg zu geben.
Ich bekam die Zusage meiner alten Schule (Die Uni stellte sich erstaunlicherweise quer :mad: ) den dortigen Härteofen benutzen zu dürfen.

Ich fuhr hin, stellte die Klinge in den kalten Härteofen und erwärmte sie so schnell es die Technik zuließ auf 830°C und hielt sie dann dort für genau 15 Minuten. Abgeschreckt wurde unter schnellem Eintauchen und leichtem Schwenken in leider kaltem Härteöl. Die Glühfarbefarbe war nach meiner Definition und im Vergleich mit einer Glühfarbentabelle definitiv Hell-Kirschrot bis Hellrot, also imho richtig.
Jetzt kam die Ernüchterung! Die Härte lag bei gerade einmal 27-32 HRC! Ritzproben mit Schraubenzieher, Feile etc. bestätigte die Messungen leider...

Meine Frage lautet also: Wo lag mein Fehler? Das zu langsame Erhitzen? Hätte ich in einen aufgeheizten Ofen legen müssen? Macht es solch einen enormen Unterschied, dass das Öl nicht warm war?
Ich hatte zuvor versuchshalber Reststücke meines Stahls in einer Lötlampe zum Glühen gebracht und in Wasser abgeschreckt und dabei schon bemerkt, dass er nur dort wirklich "Glashart" wurde, wo er deutlich gelbrot glühte.
Wurde mir der falsche Stahl verkauft? Es stand 1.2519 drauf....

Nunja, voller Frust fuhr ich dummerweise nach Hause, anstatt es bei höherer Temperatur noch einmal zu versuchen.
Doch das Thema ließ mir keine Ruhe, und so baute ich mir noch am selben Tag nach erneuter stundenlanger Internetrecherche kurzerhand eine Holzkohle-Esse aus Gasbetonsteinen, Lehm, einem Edelstahllochblech, einem Auspuffrohr und einem modifizierten Staubsauger als stufenlos einstellbares Gebläse. Das dauerte nur 15 Minuten. Ich besorgte mir ebenfalls 4 Liter Rapsöl, füllte es in einen leeren Edelstahl-Speiseeis-Behälter und stellte diesen auf einen Kaminofen zum Erwärmen.

Ich brachte die Klinge gerade so zum dunkelkirschroten Glühen und legte sie dann zum langsamen Abkühlen an den Rand der Esse um sie etwas zu entspannen.

Dann kam sie erneut in die Glut, wurde auf Hellkirschrot erwärmt, gehalten und in 60-80 Grad heißem Rapsöl abgeschreckt. Ergebnis: Weich wie Butter.....
Erneut in die Glut, Gebläse auf Maximum, Kohle oben drauf, erwärmen bis die Klinge (Meine Esse war zu klein) etwas ungleichmäßig hellrot bis gut hellrot glühte. (Ich kam kaum auf die nötige Hitze mit der Grillholzkohle :confused: )
Erst nach dem Abschrecken bei dieser Temperatur in dem warmen Öl und nach 4 Sekunden sofort in Wasser stellte sich endlich eine deutliche Härte ein, wie verschiedene Ritztests bewiesen. Deutliche Fehlerquelle, oder mehr eine Schwierigkeit stellte es allerdings dar, dass ich aus Zeitmangel nicht bis zum Sonnenuntergang warten konnte, also die Glühfarben irgendwie im Hausschatten bei abendlichem Tageslicht bewerten musste...

Nach etwas mehr als einer Stunde kam die Klinge dann auf den mittleren Rost bein 170°C für 75 Minuten in einen vorgeheizten Backofen und wurde danach in kaltem Wasser abgeschreckt. (Laut Datenblatt Anlassen bei 100°C zu 2 Stunden bis 200 °C zu 1 Stunde. Laut Schmiedeglut Website 1 Stunde bei 170°C) Eine Anlassfarbe konnte ich nicht entdecken, allerdings war ja auch noch die Ölzunderschicht dünn drauf.

Die Klinge ist nun poliert und für meine subjektive Einschätzung schön hart. Härter zumindest als mein Carbonstahl-Mora Messer mit 58 HRC, welches ich als einzigen Anhaltspunkt zur Härtebestimmung habe. Die Schneide und der hintere Teil des Erls lassen sich auch nicht feilen, die Mitte des Erls jedoch schon ein wenig.

Leider gab es etwa 1 Grad Verzug der KLinge. Trotz der Dicke. Kann aber daran liegen, dass sie zum Teil flach in der Esse lag. Den Verzug bekomme ich wohl nicht mehr weg, oder??? (Nochmal wird nix heiß gemacht!)

Etwas bedenklich: Auf dem polierten Klingenrücken sind feine Risse (so vermute ich, solange es nicht irgendwelche Kohlenstoffgrenzen sind) in Klingenrichtung zu sehen. Also längst, nicht Quer zur Mittelachse. Sie klaffen nicht auf, sondern stellen eher eine Undichtigkeit im Material dar. Lässt sich schwer beschreiben... Sind aber auf der Schneide oder im Klingenspiegel nirgends zu sehen.

Würde mich über Diagnose, Anregungen und Tipps freuen. Hoffe es war nicht zu viel Text... :rolleyes:
Und bitte keine Antworten wie: "Hier fehlt es aber an Fachwissen" Das weiß ich nämlich selbst. Aber jeder fängt mal an, oder? und ich wills ja nicht kommerziell machen, sondern einen mir neuen Bereich des Handwerks kennen lernen.

Liebe Grüße, Tim
 
Hallo tim,
Du hast das ding ziemlich vergewaltigt und leider auch fast kein fehlernäpfchen ausgelassen.
Grösster fehler war warscheinlich die lange ofenzeit im elektroofen , kalt aufheizen macht man nicht .
Nur bei grossen industrieteilen.
Die klingenoberfläche ist wahrscheinlich kräftig randentkohlt, dadurch auch keine härteannahme.
Mit den folgenden schritten hast du entweder wieder etwas kohlenstoff hineingebracht ,oder du hast durch die wasserhärtung den minimalen kohlenstoff gehärtet.
Wenn sich risse zeigen ,egal ob längs quer oder wie auch immer, muss ich dir leider sagen ,das das der anfang vom ende ist.
Das ding gibt beim ersten belastungstest den geist auf.
Bei aller liebe, tus weg.
Gruss fritz
P.s. Risse lassen sich auch durch wiederholte glühbehandlungen nicht wegzaubern.
 
Dem ist wenig hinzuzufügen. Die Klinge ist Schrott. Nach dem ersten Härten hätte man einfach an der Schneide die Randentkohlung wegschleifen können. Nach den folgenden Aktionen, insbesondere dem Abschrecken in Wasser, ist die Struktur hin. Aber: immerhin was nützliches gelernt. Und jetzt einfach neu anfangen.
 
Hallo tim,
Du hast das ding ziemlich vergewaltigt und leider auch fast kein fehlernäpfchen ausgelassen.
JA, das ist wohl so... Furchtbar schade. Man kann sich denken, dass ich als blutiger Anfänger erst mal einen Haufen Arbeitsmaterial kaufen musste und ca. 35 Stunden nur an der Form und am Schliff gearbeitet habe...
Grösster fehler war warscheinlich die lange ofenzeit im elektroofen , kalt aufheizen macht man nicht .
Nur bei grossen industrieteilen.
Danke, das wusste ich nicht. Dachte ich tue dem Stahl was Gutes. Spannungen abbauen und so...
Die klingenoberfläche ist wahrscheinlich kräftig randentkohlt, dadurch auch keine härteannahme.
60 Minuten war die Klinge insgesamt im Ofen. Dabei war sie nur in den letzten 25 Minuten in einem Temperaturbereich, bei der Entkohlung passieren kann, oder? Und würde das dann nicht auch beim Normalisieren, Weich- oder Normalglühen passieren? (die Zeiten sind da ja auch sehr lang, bei nur etwas niederigeren Temperaturen) Das kann ich mir nicht sooo recht vorstellen, nehme fundiertes Wissen aber gerne an.
Mit den folgenden schritten hast du entweder wieder etwas kohlenstoff hineingebracht ,oder du hast durch die wasserhärtung den minimalen kohlenstoff gehärtet.
Ich gehe mal davon aus, dass nach dem Abschrecken in Öl für 4-5 Sekunden das Abschrecken größtenteils vollzogen war. Das kühlt dann doch recht schnell ab denke ich. Ich muss doch beim Abschrecken nur möglichst schnell unter die PSK Linie kommen, oder?
Wenn sich risse zeigen ,egal ob längs quer oder wie auch immer, muss ich dir leider sagen ,das das der anfang vom ende ist.
Das ding gibt beim ersten belastungstest den geist auf.
Bei aller liebe, tus weg.
Naja, beim Versuch sie zu richten hab ich beim Biegen fast die extrem schwere Werkbank umgerissen. So viel hält es schon mal. Natürlich habe ich die Befürchtung auch, dass sich die Risse langfristig verschlimmern. Aber ich mach es jetzt fertig, es sieht nämlich extrem gut aus wie ich finde und auch die Griffschalen haben ein fantastisches Design. Selbst das Vulcanfiber Zwischenstück ist schon zugeschnitten. Zur Not wird es ein Dekormesser. Immer noch besser als weg tun, finde ich. Dafür bin ich zu weit gekommen. Zum Schnitzen und Wurst schneiden wird es auch reichen. Die Schneide ist extrem Hart für mein verständnis (Sie war beim Härten nur auf 80er Körnung geschliffen und musste noch mächtig nachbearbeitet werden. also auch die Randschichten sind weg) und beim Schleifen wirft der Erl mächtig viele Funken. Spricht also für "hart". (Die Schneide hab ich natürlich wasser gekühlt geschliffen.)
Gruss fritz
P.s. Risse lassen sich auch durch wiederholte glühbehandlungen nicht wegzaubern.

Ja, das ist wohl irreparabel...
Ich habe gelernt: Vor dem Härten Spannungsarmglühen. Normalisieren dürfte nicht nötig sein, oder? Hab ja nicht geschmiedet. Dann in den vorgeheizten Ofen und unbedingt in warmem Öl abschrecken, danach unbedingt sofort Anlassen (Beim Backofen lieber 10 °C drauf legen, wegen ungenauigkeit) und wenn nötig bei oberer Anlasstemperatur kurz mit dem Hammer richten. Stimmt das so weit?

Vielen Dank für die Antwort.
LG Tim

P.S. Sieh meine "Widerworte" bitte eher als Fragen, denn als Kritik. Bin mir ja doch sehr unsicher bei dem was ich da schreibe.
 
Ist alles richtig.randentkohlung fängt schon bei 750 grd an , wird immer schneller je höher die temp. Steigt.
60 min sind entschieden zu lang.faustformel der industrie sagt, 1mm querschnitt 1 min. Aufheizzeit.
bei unseren dünnen dingern sind wir mit 5 bis 10 min schongut dabei, dann ins warme öl, bestens bei 60 grad.
Bis handwarm ab kühlen, dann gleich anlassen. Keine zeitdifferenz dazwischen, neigt zur rissbildung.
Beim glühen nach möglichkeit einpacken, gibt es folien, kann ich dir was schicken.
Die temp. Liegt etwa um 700grdrum, da passiert nicht viel.
Tip ,wenn keine folie, einpacken in mehrere lagen zeitungspapier gut mit kohle bedecken wenn im schmiedefeuer geglüht wird, grill geht auch. Auf temp. Bringen und dann liegenlassen.
Denke dein teil ist so zäh das es halten wird, als deko also brauchbar.
Gruss fritz
 
Hallo.

Kleines Update:
Das Messer ist jetzt fertig. Gab einen katastrophalen Unfall im letzten Arbeitsschritt, woraufhin ich nochmal mächtig nacharbeiten musste. Das Design musste minimal geändert werden und durch Bearbeitung im verklebten Zustand sind einige Macken rein gekommen.

Herr Fischer von nordisches-handwerk.de, dem ich mein Stahlproblem geschildert habe, tippt auch auf die lange Aufwärmzeit und das kalte Öl. Er hat die Charge kontrolliert und mir nochmal ein Datenblatt vom Stahlzulieferer geschickt. Toller, schneller Service und echt sehr freundlich.

Absolut genial: Herr Fischer hat mir ausserdem 3 große Reststücke (5x40x120 mm) vom 1.2519 unentgeltlich und ohne Versandkosten zum Üben geschickt. Das ist ein mächtig feiner Zug von ihm!

Das ist mein erstes Messer. Noch ungeschärft und ohne Gravur.

 
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