Hier jetzt das Urteil und das Sitzungsprotokoll jeweils als PDF auf Francos Wunsch hin.
View attachment Urteil.pdf View attachment Protokoll.pdf
Es ist eine leider deprimierende Lektüre. Wie das Gericht feststellt, wurde das gesetzliche Verbot von Butterfly-Messeren nicht in Hinsicht auf deren Gefährlichkeit oder Aufschleuderbarkeit erlassen, sondern allein weil sie angeblich bei gewaltbereiten Jugendlichen oft aufgefunden worden. Belege dafür gab es damals nicht, heute wird erst recht nicht mehr danach gefragt. Die angeblichen Vorlieben einer kleinen Gruppe wurden zum Anlass eines Generalverbots.
Das noch einmal bestätigt zu sehen, ist traurig. Natürlich liegen nun auch keine Kenntnisse darüber vor, ob das Paradox, selber weder besonders gefährlich noch aufschleuderbar, inzwischen vermehrt von gewaltbereiten Jugendlichen benutzt wird. Eigentlich ein harmloses Messer, für das anscheinend kein Verbotsgrund vorzuliegen scheint, der einem vernünftigen Menschen einzuleuchten würde. Aber halt - ähnelt das Messer nicht einem Butterflymesser in einigen Punkten? Sicherlich, es hat äußerlich betrachtet die gleichen Griffe und eine Klinge. Dass es in seiner wesentlichen Funktion bewusst kastriert und verlangsamt worden ist, interessiert weder das BKA noch das Gericht. Also fällt das Messer, das nur so aussieht wie ein Butterfly, auch unter das Verbot. Müssen Verbote denn immer einen Sinn haben?
Aber es kommt noch schöner. Das Gericht räumt ein, dass das Gesetz in seiner Bestimmung von Butterflymessern unklar erscheinen kann, es also nicht notwendig für jedermann erkennbar ist, dass das Paradox unter die Kategorie verbotenen Messer fällt. Aber wozu sich wundern? Wenn der Gesetzgeber entscheidende Passagen unbestimmt lässt, springt eine deutsche Behörde in die Bresche, hier das BKA, und schreibt das Gesetz
de facto fort. Ob die Behörde ein Mandat des Wählers dafür hat, legislative Funktionen zu übernehmen, interessiert nicht.
blackfox beschreibt die Lage treffend:
Fraglich ist vielmehr, ob dieser "macht-doch-was-ihr-wollt"-Paragraph dem grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebot genügt.
Ursprünglich hat man Gesetze niedergeschrieben, damit eben nicht jeder Träger hoheitlicher Befugnisse nach eigenem Belieben handeln und urteilen kann.
Hier könnte man jetzt vieles schreiben. Dankenswerter Weise aber hat schon der Philosoph Walter Benjamin das Muster, das der Vermischung rechtsstaatlicher Gewalten zugrundeliegt, in seiner Kritik der Gewalt treffend anaylsiert. Die Polizeigewalt rechtfertige sich ihrer Bestimmung nach dadurch, dass sie rechtserhaltend sei, also der Rechtssetzung des Saates diene. Ihrer Praxis nach aber hebe sie die Trennung von rechtserhaltender und rechtssetzender Gewalt unweigerlich auf. Benjamin folgert:
Walter Benjamin said:
Die Behauptung, daß die Zwecke der Polizeigewalt mit denen des übrigen Rechts stets identisch oder auch nur verbunden wären, ist durchaus unwahr. Vielmehr bezeichnet das »Recht« der Polizei im Grunde den Punkt, an welchem der Staat, sei es aus Ohnmacht, sei es wegen der immanenten Zusammenhänge jeder Rechtsordnung, seine empirischen Zwecke, die er um jeden Preis zu erreichen wünscht, nicht mehr durch die Rechtsordnung sich garantieren kann. Daher greift »der Sicherheit wegen« die Polizei in zahllosen Fällen ein, wo keine klare Rechtslage vorliegt, wenn sie nicht ohne jegliche Beziehung auf Rechtszwecke den Bürger als eine brutale Belästigung durch das von Verordnungen geregelte Leben begleitet oder ihn schlechtweg überwacht.
(Walter Benjamin,
Zur Kritik der Gewalt. In: Ders.,
Gesammelte Schriften, vol. II.1, hrsg. von R. Tiedemann und H. Schweppenhäuser. Frankfurt a.M. 1999, S. 189)
Erstaunlich, welche Aktualität Benjamins Analyse von 1920 oder 1921 im Jahr 2015 wieder hat. Bis ins Kleinste ist unser Leben durch Verordnungen normiert, deren Einhaltung lückenlos überwacht und rücksichtslos durchgesetzt wird. Nur die Belästigung durch Überwachung hat ihren Charakter geändert: Sie ist nur noch selten brutal, wenigstens nicht offen, sondern subtil und allgegenwärtig.
Die Gerichte hat Benjamin in seiner Analyse übrigens gar nicht erst erwähnt - vielleicht weil er wusste, dass von ihnen nichts zu erhoffen ist.