Erfahrungsbericht Schärfseminar in der Schleiferei Wipperkotten

HaveALook

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Hallo,

hier im Forum wird ja immer wieder gefragt, wo man das Schärfen mit Banksteinen lernen kann.
Nach anfänglichen autodidaktischen Schärfversuchen, die nicht immer vom gewünschten Erfolg gekrönt waren, habe ich für mich kurzerhand entschieden, ein Messerschärfseminar zu besuchen.
Fündig geworden bin ich bei der Firma SchnittKultur in Solingen.

Und was soll ich sagen - es war nicht nur lehrreich sondern auch sonst ein überaus sinnliches und schönes Erlebnis, das den Tag zu etwas ganz Besonderem gemacht hat.

Schon die Anfahrt durch die herrliche Frühlingslandschaft der Wupperauen ließ gute Laune aufkommen.
Dann stieß ich gemäß der Ausschilderung auf die Schleiferei Wipperkotten.
Der Wipperkotten ist ein original erhaltener Schleifkotten an der Wupper und beherbergt die letzte wasserbetriebene Schleiferei. Der Kotten befindet sich in einem idyllisch gelegenen alten Fachwerkhaus. Das Wasserrad, das die Geräte der Schleiferei antreibt, ist noch in Betrieb und im Inneren des Kotten kann man die eindrucksvolle Technik samt des Museums im Rahmen des Schleifseminars besichtigen.
Alleine für den Anblick der mächtigen Antriebsräder und der ausgeklügelten Mechanik, die sich quer durch das Gebäude erstreckt, hatte sich die Anfahrt schon gelohnt.
Man fühlt die feuchte Luft, die durch das Wasserrad aufgewirbelt wird, hört das Rattern und Surren der Mechanik und ihrer Antriebsriemen, sieht die einfach aber praktisch ausgestatteten Schleifereiräume und fühlt sich zurück versetzt in frühere Zeiten.

Hier sind ein paar schöne Bilder davon zu finden:

Wipperkotten

Hier im Forum habe ich übrigens einen aufschlussreichen Beitrag gefunden, der auf ein Dokument verweist, in dem die Geschichte und Nutzung des Wipperkottens anschaulich erläutert wird. (Auf Seite 17 des Dokuments ist auch eine interessante Schema-Zeichung der Mechanik des Kottens zu sehen.)

http://www.iwf.de/iwf/res/mkat/others/bp/04000004279910000000.pdf

In diesem Kotten hat Ralf Jahn seine Schleifwerkstatt und nutzt hierfür immer noch wie früher üblich die wassergetriebenen Gerätschaften.
Im benachbarten Fachwerkhaus fand dann im Anschluss an die Besichtigung das Seminar statt.
In dem hellen und gepflegten Seminarraum, der durch ein behagliches Holzofenfeuer beheizt war, herrschte eine entspannte Atmosphäre und durch die Fenster schaute man direkt ins Grüne auf die Wupper.
In netter und geselliger Runde erklärte dann Ralf Jahn kompetent die Grundlagen des Messerschleifens, erläuterte die notwendigen Materialien und Techniken und stand aufmerksam jeder Frage Rede und Antwort.
Dann durften wir selbst Hand anlegen und erste Versuche auf einem Blauen Belgischen Brocken starten.
Da das Seminar nur 4 Stunden dauerte, (Ganztagesseminare fanden nach Aussage von Herrn Jahn wohl nicht genügend Interessenten), ging es nach der kurzen Übungsphase noch mal kurz rüber in die Schleiferei, um auf den von zuhause mitgebrachten Messern einen maschinellen Grundschliff anbringen zu lassen.
Hier wurde ganz service-orientiert auch mal eben noch krumme Messerspitzen abgeschliffen, überstehende Nieten zurechtgehämmert und beschädigte Griffhölzer wieder plan geschliffen.
So manches schon arg mitgenommen aussehendes Messer war nach dem kurzen “Aufhübschen” kaum wieder zu erkennen.
Auf diesem Grundschliff aufsetzend ging es nun ans Eingemachte und jeder konnte ausgiebig und unter persönlicher Anleitung die in der Schulung erlernte Technik anwenden, um seinen Messern zusehends mehr Schärfe zu verleihen und diese an unschuldigen Tomaten auszutesten.
Zwischendurch gab es eine Kaffeepause im benachbarten Cafe, so dass auch das leibliche Wohl nicht zu kurz kam.
Hier wurden wir mit frischem Kaffee, Kottenbutter (Schwarzbrot mit geräucherten Mettwurst, Zwiebeln und Senf) und anschließend mit frisch gemachten Waffeln verwöhnt und konnten von der Dame des Hauses noch so manche interessante Geschichte zu dem Gebäude und dessen Geschichte erfahren.

Dann ging es wieder weiter ans Schleifen, Polieren, übers Leder ziehen und den Seminarleiter mit Fragen löchern. Während dessen war immer noch genügend Zeit für einen angeregten Plausch über die Erfahrungen einiger Teilnehmer mit Messerschmiedeseminaren, Schleiferfahrungen, die Solinger Messerindustrie und deren Traditionen, Manufakturen und Entwicklungen.
Gegen 18:00 war das Seminar dann pünktlich zu Ende.
Wer wollte, konnte auf seinen Messern noch einen maschinellen Politurschliff anbringen lassen.
Tja, und dann ging es schon wieder ans Abschiednehmen.

Also mir hat’s super gut gefallen und sicher gönne ich mir das Ganze bei Gelegenheit noch mal.
Es scheint süchtig zu machen, denn neben Anfängern wie mir, waren einige der Teilnehmer bereits zum wiederholten Mal bei dem Schleifseminar, obwohl sie die Schärf-Technik eigentlich mittlerweile längst beherrschen. Aber auch die erfahrenen Kollegen haben noch wertvolle Tipps und Tricks zum Verfeinern ihrer Technik bekommen und konnten den Seminar-Rahmen zum Fachsimpeln mit einem kompetenten Ansprechpartner nutzen.

Vielleicht nutze ich das nächste Mal den Schärfkurs in den Räumlichkeiten der Firma Böker, um in den Genuss der Werksbesichtung dort zu kommen.

Einfach weil’s so schön war…. :super:

Viele Grüße
HaveALook


Übrigens, mal off-topic, weil ja nicht jeder aus der Umgebung von Solingen kommt:
Die Solinger Innestadt mag zwar unscheinbar sein. Aber der Tripp gestern hat mir echt wieder gezeigt, dass diese so unscheinbar wirkende Stadt trotzdem viel Interessantes und Schönes zu bieten hat.
Wer Motorrad fährt oder gerne wandert, für den ist das Bergische Land an sich schon ein interessantes Ziel.
In Solingen selbst gibt es dann viele Möglichkeiten, ein schönes Wochenende zu verbringen.
Besichtigungen: Burg und Ortsteil Gräfrath (wo man auch lecker Essen gehen kann), Gesenkschmiede Hendrichs und Klingenmuseum, Schleifkurs im Wipperkotten, Shoppen im Burgvogel-Werksverkauf bzw. mit Kiddies im Haribo-Werksverkauf... Wenn man es geschickt terminiert, hat man sicher auch die Möglichkeit, die ein oder andere Führung durch eine Messermanufaktur mit zu machen.
Gerade bei Burgvogel und Güde lohnt Nachfragen nach einer Führung erfahrungsgemäß.
Das sind so die Dinge, die ich das nächste Mal machen werde, wenn ich Wochenend-Besuch bespaßen will, der an alten Handwerkstraditionen interessiert ist.
 
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