Überlegung-Nitrierstahl -> X15TN

_Centurio_

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Hi

Erstmal vorweg, ich stelle hier nur eine Verständnisfrage, wo jeder hier seine Erkenntnis posten kann/soll ;)

Ich bin kein Messerschmied, jedoch will ich es irgendwann einmal lernen (bin 16 J. alt) und beschäftige mich viel mit der Materie.

Ich habe in der Schule ein Fach namens Werkstoff und Fertigungstechnik.
Dort habe ich gelernt, dass Nitrierstahl einen zähen Kern und sehr harte Außenschicht besitzt.

Da ich mir ein Böker Klappmesser mit X-15 T.N. Stahl besorgen wollte, habe ich mich etwas mit dem relativ neuen Stahl beschäftigt.

Meine 1. Überlegung: Wenn ich dieses Messer oft nachschärfe und die dünne, harte Randschicht irgendwann einmal weggeschliffen habe, dürte die Klinge dann reif für die Mülltonne sein, oder?

Meine 2. Überlegung: Die ausgestanzten Klingenrohlinge werden gehärtet und dann wird der Grundschliff angebracht, warum ist die Schneide dann immernoch verschleißfest, die dünne, gehärtete Randschicht ist dann doch auch weggeschliffen, oder nicht?!

Oder kann der Stickstoff weiter in den Stahl diffundieren als in meinem Schulbuch geschrieben, dort ist die Rede von wenigen Zehntel mm.



Was könnt Ihr dazu sagen?
lg olli
 
AW: Überlegung-Nitrierstahl

Du verwechselst "Nitrierstahl" mit "stickstofflegiertem", bzw. "aufgesticktem Stahl" - Begriff stammt von Roman.
Nitrierstahl ist so legiert, dass er gut bis sehr gut zum späteren Nitrieren geeignet ist, ist meist mittel bis hochlegierter Werkzeugstahl, weil er für spezielle Werkzeuge mit besonderen Anforderungen verwendet wird.
edit:
Roman spricht sogar konkret von stickstofflegiert
http://www.messerforum.net/showthread.php?t=33425&highlight=Cronidur

Der X15TN ist ein stickstofflegierter Stahl - das ist kein Nitrierstahl in dem Sinne. Du meinst nitrieren/carbonitrieren/teniferieren, ist ein spezielles meist nachträgliches Oberflächenhärtungsverfahren, man zählt es zum großen Bereich der Wärmebehandlung.
Unter "Cronidur" sollte sich etwas mehr finden lassen, der ist mit X15TN vergleichbar.

Gruß Andreas
 
Last edited:
Was Andreas geschrieben hat, ist völlig richtig.
Zum besseren Verständnis Folgendes :
Nitrierstähle sind Stähle, bei denen man eine besonders harte, dünne Haut erzeugen will, die mit Nitriden angereichert ist.
Das klassische Nitrierverfahren besteht darin, den zu nitrierenden Stahl mit Ammoniak zu umspülen.
Die Behandlungstemperatur liegt bei etwa 500 Grad, die Behandlungsdauer bei 40 bis 100 Stunden. Bei 100 Stunden Nitrierdauer erzielt man eine Nitriertiefe von ca 0,7 mm. Eine so dicke Schicht ist für die meisten Anwendungsgebiete nicht erwünscht, weil sie selbst recht spröde ist und abplatzen kann.

Die Härte der Nitrierschicht hängt sehr stark von den Legierungselementen ab. Man könnte auch einfaches Eisen nitrieren, die Härte wäre dann aber nicht berauschend.
Klassische Nitrierstähle enthalten daher Aluminium, Chrom, Molybdän, Vanadium und Titan in der Größenordnung von 0,2-2 %. Die Härte der Nitrierschicht wird dabei von den Sondernitriden dieser Elemente bewirkt.

Die beim Nitrieren erforderliche Temperatur zeigt schon, daß Nitrieren für Messerstähle grundsätzlich ungeeignet ist, weil der Stahl bei 500 Grad schon recht weich würde.
Die dünne Nitrierschicht würde da auch nicht viel helfen, zumal sie a) per se eher spröde ist und b) beim Nachschärfen schnell abgeschliffen wäre.

Etwas anderes gilt für die stickstofflegierten Stähle. Bei diesen wird nicht die Oberfläche mit Stickstoff angereichert, sondern der ganze Stahl wird mit Stickstoff legiert.
Da Stickstoff recht reaktionsträge ist, ist das gar nicht so einfach.
Er ist im Stahl auf Zwischengitterplätzen gelöst (wie der Kohlenstoff) und kann auf diesen Plätzen praktisch eingefroren werden.
Da das Stickstoffatom etwas kleiner ist, als das Kohlenstoffatom, führt es bei der Härtung zu einer etwas geringeren Verspannung als der Kohlenstoff. Die resultierende Härte ist daher etwas geringer als bei der Härtung über den Kohlenstoff.
Meist enthalten stickstofflegierte Stähle auch noch Kohlenstoff.
Ihr Vorteil gegenüber den reinen Kohlenstoffstählen ist eine bessere Korrosionsbeständigkeit und sehr feine Nitride, die eine feine Schneide ermöglichen.
Ganz ausgereizt ist die Technik aber noch nicht und es sind in der Zukunft möglicherweise noch deutliche Verbesserungen zu erwarten.

Ganz neu ist das Verfahren übrigens auch nicht.
Bei den klassischen Aufkohlverfahren wurde neben reiner Holzkohle auch Lederkohle verwendet, die zugleich aufkohlend und -wenn auch nur in geringem Umfang- aufstickend wirkte. Da durch die Aufstickung der Austenitbereich nach niedrigeren Temperaturen verschoben wird, kann man aber mit Lederkohle bei niedrigeren Temperaturen und schneller aufkohlen.
Lederkohle kann man sich durch Verkohlen von Lederresten zubereiten.
Wenn es herauskommt, wo die himmlischen Düfte herkommen, macht man sich in der Nachbarschaft viele Freunde.

Eine weitere -klassische- Methode des Aufkohlens und Aufstickens wurde der Sage nach von Wieland praktiziert. Der soll ja Gänse mit Teig gefüttert haben, der mit Eisenspänen durchsetzt war. Aus dem Gänsekot hat er das Eisen wieder ausgeschmolzen und erzielte so den Stahl für das Schwert der Schwerter, den berühmten Mimung. Im Magen der Gänse -oder im Kot beim Ausschmelzen- soll eine Reinigung und Anreicherung des Stahls mit Kohlenstoff und Stickstoff stattgefunden haben.

Diese Sage wurde und wird durchaus ernst genommen. Ich kenne zwei Fälle, wo man versucht hat, den Vorgang nachzuvollziehen. Im ersten Fal konnte das Verfahren nicht authentisch durchgeführt werden, weil die Gänse eingegangen sind.
Im zweiten Fall haben sie überlebt und die Forscher haben aus dem Gänsekot das Eisen -soweit ich weiß nach Art von Goldwäschern- ausgewaschen.
Das daraus erzeugte Eisen war dem Vernehmen nach erst in Harn vernünftig härtbar, einfaches Wasser genügte nicht.
Ob ein rothaariger Knabe als "Männeken Piß" bessere Ergebnisse erbracht hätte, muß weiter erforscht werden.
Freundliche Grüße
U. Gerfin
 
Danke ihr 2 für die sehr hilfreichen Antworten ;)

Das hat mich weitergebracht!

lg olli
 
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