Offener Brief an die Solinger Messerhersteller

Krawulle

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Liebe Solinger Messerhersteller,

zuallererst: Ich liebe Euch und Eure Erzeugnisse! Ehrlich: Den Dünnschliff, die Normalstahlklingen, die Messingnieten, die schönen alten Formen und Namen. Ihr seid die Verwalter eines schönen Erbes und ich bin irgendwie stolz auf Euch.

Aber -und jetzt werde ich ein kleines bisschen verallgemeinern- Ihr macht es mir ganz schön schwer.
Zuweilen erscheint Ihr mir wie eine alternde Diva, die sich noch im Vollbesitz Ihrer einstigen Reize wähnt. Habt Ihr "Sunset-Boulevard" gesehen? Etwa so.
Ich mache mir Sorgen um Euch, weil ewig wird das nicht mehr gut gehen. Noch hat Euer Name einen guten Klang, aber wisst Ihr was: das ist nicht Euer Verdienst.
"Was Du von Deinen Vätern ererbt hast, erwirb es, um es zu besitzen!" Versteht Ihr, worauf ich hinaus will?

Ich habe jetzt viele Messer von verschiedenen von Euch gekauft. Etwa acht von zehn musste ich umtauschen, manche nicht nur einmal. Und ich merke, dass ich unterschwellig schon Angst kriege vor der nächsten Bestellung. Angst vor ewigem Hickhack, nicht beantworteten Fragen und E-Mails, Angst vor der Notwendigkeit, das Messer zwischen ein- und dreimal zurückschicken zu müssen, bis ich ein einwandfreies habe.

Und ich wiederhole noch einmal: Ich liebe Euch und Eure Erzeugnisse. Ich mag das Schlichte, das Unperfekte, das Handgemachte. Wenn der Klingenanschliff oder der Abzug ungleichmäßig ist: geschenkt! Asymmetrische Griffschalen mit Bearbeitungsspuren: wunderbar! Schleifspuren auf der Klinge; Grate, scharfe Kanten: Das kann der besten Hausfrau passieren! Macken in den Klingen, abgeschliffene Spitzen, klaffende Fugen: wisst Ihr was, bitte nicht jedesmal und alles auf einmal!
Ganz geknickt seid Ihr, wenn man Euch dann irgendwie in der Öffentlichkeit schlecht bewertet. Ihr hättet das doch gerne umgetauscht, ein Anruf hätte genügt.
Ja klar, Ihr seid nette Leute! Aber manche von Euch sind zum Beispiel hier im Messerforum vor allem dafür bekannt, dass Ihr so unkompliziert Eure fehlerhaften Produkte ersetzt! Steht in jedem Beitrag, der sich mit Euch beschäftigt!
Merkt Ihr was?

Wenn Ihr noch eine Weile weitermachen wollt, dann bitte:
-antwortet auf Anfragen, wenn Ihr schon keine Webshops habt (wie lange soll man Euch eigentlich nachrennen, um Euch was abzukaufen?,
- guckt Euch die Messer an, die Ihr verschickt!
-Wenn sie fehlerhaft oder beschädigt sind, DANN VERSCHICKT SIE NICHT!
-Macht nicht erst Werbung damit, dass Eure Messer in Handarbeit hergestellt werden, um dann hinterher die Fehler damit zu rechtfertigen, dass es Handarbeit sei!
-Wenn Ihr in Euren Katalogen, auf den Internetseiten oder sogar auf den Klingen auf Euren tollen "Handabzug" hinweist, dann seht zu, das der Handabzug tatsächlich eine Werbung für euch darstellt!
-Denkt mal darüber nach, Eure Messer scharf auszuliefern. Ich meine scharf! Ein "geschütztes Markenzeichen", das "Solingengesetz", Eure gloriose Geschichte, der "Handabzug" und alles "Pließten" sind kein Ersatz dafür. Das Messer muss schneiden. Legt es einfach erst aus der Hand, wenn es richtig gut schneidet. Das findet Ihr durch Probieren heraus. Die meisten Leute haben weder Lust noch die Fähigkeit, als erstes ihr neugekauftes Messer zu schärfen.
-Wenn man schlecht verarbeitete Griffschalen bemängelt, dann BITTE belehrt uns nicht, dass "Holz ein natürlicher Werkstoff sei, der arbeitet, weswegen zum Beispiel klaffende Fugen kein zu beanstandender Qualitätsmangel seien." Doch, sind sie doch! Guckt euch das bei anderen Herstellern an, wo es klappt und lernt es von Ihnen! Seid nicht so hochmütig!

So, zum letzten Mal: Ich liebe Euch und Eure Erzeugnisse! Bitte erwidert diese Liebe und macht nicht "typische Solinger Messer", sondern macht gute Messer! (Das war früher mal das gleiche, oder?)
Ich möchte, dass es Euch noch lange gibt und möchte nicht Euer Ende erleben.

Sollte es aber doch dazu kommen, dann weiß ich woran es gelegen hat.
Und Ihr wisst es jetzt hoffentlich auch.

Viele Grüße und alles Gute,
Christian Reichelt
 
:super: Toller Stil, inhaltlich meine Volle Zustimmung. Uneinsichtige Fortschrittsverweigerung (nicht nur in der Messermanufaktur) ist der schnellste Weg zum Untergang.

Man orientiert sich dann eben "anderländisch", was eigentlich nicht sein muss. Daher mein Forenname.

Das ist schon ein paar Jahre her, wo ich in aller Unschuld einen Hersteller, der damit warb, Messer, wie vor hundert Jahren zu bauen, warum er das eigentlich täte und wo der Vorteil für mich als Kunde läge.

Das hat mir bis heute keiner beantwortet.

Client le vult!
 
Super geschrieben!

Kann ich auch nur zustimmen. Habe auch schon einige Reklamationen hinter mir.

Habe früher gerne Solinger Messer verschenkt. Mach ich aber nicht mehr, weil es mir peinlich ist.

Man kann mit Qualität werben oder sich auf die längst vergangene Qualiät berufen. Manchmal stimmt der Satz "Früher wars besser".

Ich gehe jedoch davon aus das dein Brief im Rundordner landet....
 
Stimmt leider, es kommt nur noch selten gute Ware aus Solingen. Zumindest wenn man die eigenen Qualitätserwartungen höher als der absolute Laie ansetzt. Daher: Volle Zustimmung! :super:
 
Meine Zustimmung !!!

Ich glaube aber nicht, dass sich was ändert .:(


Grüsse aus dem Neckartal Norbert
 
Bei aller Übereinstimmung mit dem Geschriebenen: Böker kommt auch aus Solingen und über die denke ich doch anders. Es geht also doch.


-chinoook
 
Böker ist auch nicht grade ein Musterbeispiel - wenn auch besser als viele andere. Leider.
 
Vielen Dank für deinen Beitrag, Krawulle.

Ich kann mich dem vorbehaltlos anschließen. Ein Messer aus Solingen bestelle ich nur noch nach vorheriger Absprache mit dem Händler meines Vertrauens dahingehend, das ein fehlerfreies Exemplar besorgt wird oder ansonsten umgetauscht wird. Das ist zwar rechtlich sowieso kein Problem, schafft aber auf beiden Seiten Unmut, erst recht, wenn es mehrmals vorkommt. Und sowas muss nicht sein. Komischerweise ist z. B. Hartkopf bei einer solchen Bestellung sehr wohl in der Lage, ein gutes Exemplar aus dem Hut zu zaubern.

Einige Details, die mir schon oft untergekommen sind, stören mich bei schlampiger Fertigung extrem: Klingenspiel und schlecht eingepasste, überstehende Rückenfedern bei Lockbacks. Schärfe und Spitze sind für mich keine Kriterien, bei mir wird sowieso jedes neue Messer erstmal vernünftig geschliffen. Das kriegen nämlich auch Firmen wie Benchmade oder Spyderco nicht so hin wie der etwas geübte Endverbraucher mit dem Lansky. Zwar besser, aber auch nicht perfekt.

Nochmal: Handarbeit wird (kann;)) immer "anders perfekt" sein als maschinelle Fertigung. Aber wenn der Charme dieser Handarbeit von groben Fehlern überdeckt wird, am besten solchen, die man noch nicht mal selber beheben kann, dann verzichte ich lieber.

Ich hoffe, dein Brief findet Gehör. Auch ich bin ein Fan von guter, alter Handarbeit und den alten, klassischen Formen.
 
Auch von mir Zustimmung aus voller Brust! Hatte gerade auch mit Böker schon diverse Umtauschaktionen und ärgere mich über die Einstellung der Messermacher, die scheinbar lautet: "geht schon, die Fehler kriegt bestimmt keiner mit". Ich finde, so DARF ein Handwerker nicht denken. Er sollte immer sein ärgster Kritiker sein und seine Hand für seine Arbeit ins Feuer legen.

Vielleicht liegts aber auch an der teuflischen Routine: Die gröbsten Fehler passieren ja oft den größten Routiniers; denen nämlich, die von ihrer eigenen Unfehlbarkeit überzeugt sind...
 
Hallo Christian,
hast Du den offenen Brief oder einen Hinweis auf diesen Thread auch an die Hersteller geschickt?

Kurze Berichte über eventuelle Reaktionen wären auch toll. :super:

Gruß
Michael
 
Ich finde, dass der "Offene Brief" zu sehr verallgemeinert.

Wenn ich den Inhalt richtig verstehe, richtet er sich an Solinger Hersteller, die "traditionell" produzieren oder damit werben. Die größten Solinger Schneidwarenfirmen sind meines Wissens J.A. Henckels und Ed. Wüsthof und dort findet hochautomatisierte Massenproduktion statt. Die sind demnach nicht angesprochen?

Statt pauschale Rundumschläge zu verteilen, die Solinger Hersteller generell in einem schlechten Licht erscheinen lassen, wäre ich dafür Ross und Reiter beim Namen zu nennen und konkret auf Mängel hinzuweisen und an diese Hersteller einen "Offenen Brief" zu schicken.
 
@torel: Klar hast Du Recht, daß dieser Brief (zu) sehr verallgemeinert. Beim Lesen des Briefes kurz nach dem Einstellen, als noch 0 Antworten da waren, hatte ich auch ein ungutes Gefühl dabei. Doch aufgrund der genannten Kritikpunkte ist doch hier, im Forum der Messerkundigen, klar, daß eben nicht Zwilling und Dreizack gemeint sind. Jeder wird an Hartkopf, Lütters, Otter und Konsorten denken.

Und es ist ja wirklich traurig. Man kann diese Messer nicht unbesehen ordern, ohne zappeln zu müssen, was man denn für ein Teil geliefert bekommt. Ich persönlich hatte bei meinem Ankermesser einigermaßen Glück, bis auf ein paar Kleinigkeiten hat alles gepaßt. Aber warum scheint es selbstverständlich zu sein, mit Kleinigkeiten wie Graten und Fugen leben zu müssen?

Und bei dem "Warum?" können wir gleich weitermachen: Warum, z.B., wirbt Lütters nicht in der Men's Health, FHM, GQ etc. mit seinem 1160 als Gentleman-Messer, daß jeder dabei haben sollte, der einigermaßen Wert auf Stil legt und ein schneidfreudiges Werkzeug dabei haben will?
Stattdessen ein Katalog-pdf wie aus den 50er Jahren. Fehlt bloß noch ein Spruch, der sich reimt... Nein, wenn die Solinger Messerfirmen immer weniger werden, dann tut mir das wirklich leid. Aber Mitleid kann ich auch nicht empfinden. Da ist zu Vieles hausgemacht.

Gruß,
Herr Esch
 
Liebe Mitstreiter,

Die Fertigungsqualität handgearbeiteter Messer aus Solingen lässt immer wieder zu Wünschen übrig, das entspricht auch meinen Erfahrungen. Doch Torel hat völlig recht. Die Allgemeinplätze helfen hier nicht weiter. Bringt doch mal ein paar Beispiele.

Ich habe hier zum Beispiel ein Puma, das nicht in der Vitrine liegt, sondern im Karton, dass das keiner sieht. Die Qualiät der Hornschalen ist schlecht, die Verarbeitung mäßig. Aber seht selbst:





Die Griffschalen sind unsymmetrisch geschliffen, die Griffnieten ragen unterschiedlich lang aus dem Griff heraus.



Das Parierelement ist schlampig eingesetzt




Hier nochmal ein Eindruck von dem verwendeten Geweih


Bin ich zu pingelig? Ich weiß zwar nicht, was das Messer derzeit kostet (oder ob es noch erhältlich ist), aber als ich das gekauft habe muss ich blind gewesen sein.

So und jetzt seit ihr dran.

Viele Grüße,
Herbert
 
Jeder wird an Hartkopf, Lütters, Otter und Konsorten denken.

Ich denke da nicht zwangsläufig dran. Was ich bisher von Lütters habe ist von erstklassiger Qualität, was Otter angeht von guter Qualität

Und bei dem "Warum?" können wir gleich weitermachen: Warum, z.B., wirbt Lütters nicht in der Men's Health, FHM, GQ etc. mit seinem 1160 als Gentleman-Messer, daß jeder dabei haben sollte, der einigermaßen Wert auf Stil legt und ein schneidfreudiges Werkzeug dabei haben will?
Stattdessen ein Katalog-pdf wie aus den 50er Jahren. Fehlt bloß noch ein Spruch, der sich reimt.

Lütters produziert in erster Linier für gewerbliche Abnehmer wie Werften, Schiffsausrüster, Fischereigenossenschaften, Elektriker und Papier*fabriken..Der private Einzelverbraucher ist gar nicht ihre hauptsächliche Zielgruppe.

Davon abgesehen könnte der Vertrieb verbessert werden. Andererseits: Otter hat inzwischen einen Webshop, Friedrich Olbertz ebenfalls...es tut sich was...

Aber ich möchte hier auch nicht Solinger Hersteller verteidigen. Wenn es berechtigte Kritik gibt, dann äußern, na klar. Dann aber nicht an die "Solinger Hersteller", denn die gibt es nicht.

Das Beispiel Böker ist schon genannt, Webshop, kostenlose Kataloge nach Hause geschickt, ihre Rasiermesserherstellung im Fernsehen, was will man mehr an Marketing?

Das kann sich vielleicht aber auch nicht jede der kleinen Solinger Firmen leisten. Abgesehen von einigen großen Firmen, war die Solinger Betriebsstruktur schon immer eher kleinteilig und kapitalschwach.

Lange Rede kurzer Sinn: Schneidwarenherstellung in Solingen hat tausend Facetten, ein Beschwerdebrief an "die Solinger Hersteller" wird dem nicht gerecht.
 
Ja dann könnte man auch die Aldi "Damasttapeten und Co."nennen,steht ja auch Made in Solingen drauf und ich mußte selbst schon über das lachen was ich selbst in den Händen hielt und die waren noch in der Packung.


Gruß Maik
 
... Fertigungsqualität handgearbeiteter Messer aus Solingen

Ich habe hier zum Beispiel ein Puma

Liebe Haebbie/Herbert,

auf dem Messer oben steht "Germanny" drauf. Und nicht Made in Solingen. Das "Design" dürfte von "Puma" sein.

Ja, es gab mal etwas was da hieß "Puma-Werk Lauterjung & Sohn Schneidwarenmanufaktur", die meldeten aber doch Konkurs an und sind aufgelöst worden, heute besteht nur noch der Name oder die Marke, ohne Fertigungsstätten in Deutschland...

Kennst Du Sialkot im nordöstlichen Pakistan :steirer:
 
Bringt doch mal ein paar Beispiele.

Die zusammenhanglose Anhäufung von negativen Einzelbeispielen halte ich allerdings auch nicht für zielführend. Das muss man dann sinnvoll eingrenzen, z.B. auf Hersteller und Herstellungszeiträume. Man könnte ein Thema aufmachen zur Qualität der Puma-Produkte aus neuerer Herstellung im Gegensatz/Vergleich zur vielgelobten und leidenschaftlich gesammelten Vergangenheit o.ä, wo man tatsächlich mal konkret etwas zusammentragen und dann mit großer Vorsicht verallgemeinern kann. Nur eben kein undifferenziertes "Auf-Solingen-Rumgehacke...";)
 
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