Stichtest Klingenformen

Daelach

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Hei Leute,

ich habe gestern ein Experiment gemacht, dessen Ausgang mich sehr erstaunte. Zwei Messer sollten zum Stichtest gegeneinander antreten, einmal Böker Integral Palisander, sowie Linder master Bowie. Beide waren ab Werk anständig scharf - nicht zum Rasieren, aber den Fingernageltest bestanden beide mühelos.

Das Linder, aus 440 Stahl, 13cm Klinge:
206013.jpg


Das Böker, aus 440C, 12cm Klinge (abgebildet die Amboina-Version):
120585AM.jpg


Was nicht zu sehen ist: Von oben her betrachtet wirkt das Böker eher wie ein Meißel, die Klinge ist bis nach ganz vorne ziemlich stabil. Das Linder hat die deutlich zierlichere Spitze.

So, ich habe also erstmal in Karton gestochen, dann in Bogenschießscheibenmaterial, und zuguterletzt auch noch in eine Packung Tortellini, die ich ohnehin zwecks Abendessen öffnen wollte *g*

Das Ergebnis fand ich verblüffend: Das Linder sieht wesentlich stichiger aus, tatsächlich braucht es aber erheblich mehr Kraft als das Böker. Das Linder kommt die ersten Zentimeter gut rein, so etwa bis zur Hälfte der nach innen gewölbten Fehlschärfe des Entenschnabels, dann bockt es. Das Böker hat solche Probleme nicht.

Ich habe nachgedacht, woran das liegen kann, und komme zum Ergebnis, daß beim Bowie ab der Hälfte des Entenschnabels nicht genug Schneidenbiegung mehr da ist, so daß die Fehlschärfe beim Eindringen zwar Druck auf die Schneide macht, diese aber nicht gescheit schneiden kann, sondern eher ihren Weg durchs Schnittgut reißt, denn die Bewegung der Schneide scheint im verhältnis zur Klingenaufweitung zu klein zu sein.

Beim Integral gibt es diese Probleme nicht, es ist immer genug Schneidenbiegung da, um schneidend einzutauchen.

Ich schließe daraus, daß ein gerader Rücken mit gebogener Klinge sich hier leichter tut als ein gekrümmter Rücken mit gerader Klinge.

Damit stellt sich mir aber nun die Frage, wieso ein Bowie so geformt ist - die Verlagerung der Spitze in den Hohlschliffbereich hinein nimmt ja eindeutig Stabilität weg, zumal wegen der Entenschnabelform im Unterschied zu Drop-Point. Man könnte meinen, daß es dafür zum Stechen wenigstens besser taugt, aber nichtmal das tut es.

Wenn ich mir american tantos angucke, haben die auch so eine Meißelform, mit der man gerade bei harten Dingen gut durchstechen kann, je nach Stahl sogar durch Ölfässer.

any comments?

*winks* Daelach
 
any comments?

???
Ist das jetzt ein Stichtest oder ein Schneidstichtest ?
Ist das jetzt mal eine andere Einleitung, um auf Umwege zur SV-Eignung ("Penetrationvermögen") verschiedener Klingenformen zu kommen ?

hirnan.gif

vorsicht.gif
 
Hei luftauge,

SV-Eignung und Sticheignung sind verschiedene Dinge. Wenn Du das nicht glaubst: Frag Dich mal, wieso wohl ein Spyderco Civilian ausdrücklich zur SV gebaut wurde, andererseits aber stichtauglich wie eine Kaffeetasse ist? Sticheignung ist ein objektives Faktum, SV ist ein Zweck. So direkt besteht keine Beziehung zwischen beidem.

Fragst Du als nächstes, wenn jemand Brucheigenschaften von Stahl bei -20 Grad betrachtet, ob er das nur tut, weil er sich gegen Schneemänner wehren will?! *g*

Oder fragst Du als nächstes, wenn es um Klingenschärfen bei verschiedenen Schliffarten geht, ob das vielleicht versteckte SV sei, weil man damit ja jemandem Schnittwunden zufügen könnte?

Oder gar die Frage nach der soliden Verbindung von Griff und Klinge: Ist das vielleicht auf irgendein SV-Szenario bezogen?

Du wirst wohl damit leben müssen, daß man ALLE Messereigenschaften zur SV benutzen kann. Der Gedanke "schneiden = Werkzeug", "stechen = SV" ist unsinnig. Ich zitiere mal den Spruch, den Pitter in seiner Sig hat - der bislang größte Schaden wurde mit einem Teppichmesser angerichtet..

Also wiederhole ich mich: Ein Bowie mit Hechtklinge wird so designed, daß es optisch aussieht, als sei es zum Stechen gut. Im Test aber taugt es gar nicht zum Stechen! Dafür bezahlt man aber mit Stabilitätsverlust in der Spitze, und der gebogene Schneidenanteil ist kürzer, was beim Schnitteinsatz ungünstiger ist, denn man muß die Klinge flacher zur Unterlage halten und hat daher einen ungünstigeren Hebel von der Griffhand her.

Die Frage also bleibt - welchen Nutzen erfüllt das Bowiedesign? Wenn man den Preis einer instabileren Spitze schon bezahlt, welcher Vorteil gleicht diesen Nachteil aus?

Oder handelt es sich hier analog zu den "hochtaktischen" Foldern schlicht um Marketing und ästhetische, weniger aber funktionale Gründe? Denn bei meiner Frage ging ich von "form follows function" aus.

*winks* Daelach
 
Ich frage gar nichts, sondern denke mir mittlerweile meinen Teil zu solch recht ausführlichen Einleitungen mit gewissen Nebensätzen...
Entweder von vornherein eine klare Linie, oder rum-eiern und sich hinterher fragen lassen, wie es gemeint ist :rolleyes:

Über die Eignungen und Ansichten über Messeran- und Verwendungen musst Du mir kein Referat halten ;)

Gruß Andreas
 
Eine feine Spitze hat natürlich ihre Berechtigung.
Am sinnvollsten an kleinen Messern für feine Arbeiten.
Da muss man ja nicht so oft die ganze Klinge versenken.
Ich hab zum Beispiel ein kleines Puma Taschenmesser mit Hechtklinge,
da finde ich das ganz angenehm.
Oder guck dir Küchenmesser an. Auch grosse!
Die haben alle sehr empfindliche Spitzen und sind trotzdem sehr funktional.
Dieser ewige hype nach Spitzen mit denen man Blechfässer durchstoßen kann geht mir auf die Nerven.

Bei den Bowies musst du bedenken, das man die Fehlschärfe am Rücken
auch Anschleifen kann.
Dann sieht das Ergebnis sicher anders aus.

Ich bin aber auch der Meinung daß die Hechtklingenform eine Modeerscheinung ist und keine nennenswerten Vorteile im Alltagsgebrauch gegenüber anderen Klingenformen hat.

Zorro
 
Daelach said:
Hei luftauge,

SV-Eignung und Sticheignung sind verschiedene Dinge. Wenn Du das nicht glaubst: Frag Dich mal, wieso wohl ein Spyderco Civilian ausdrücklich zur SV gebaut wurde, andererseits aber stichtauglich wie eine Kaffeetasse ist? Sticheignung ist ein objektives Faktum, SV ist ein Zweck. So direkt besteht keine Beziehung zwischen beidem.

*winks* Daelach

°°°Der Vergleich mit der Kaffeetasse trifft es perfekt!
Diskutiert man über SV, so stellt sich die Frage, wie jemand seinen Verteidigungsgegenstand überhaupt verwendet. Dadurch unterscheidet sich ein "Applegate" Stoßdolch auch von einem indonesischem Karambit.
Weil dies hier aber ein Werkzeugforum ist, müssen wir trotzdem die Funktion ergründen.
Das ist wohl das größte Problem bei Tests.
Am wichtigsten ist das Einsatzgebiet eines Messers. Ohne dessen Bestimmung bleibt auch der Test sinnlos.
Also stehen als erstes die Fragen: Warum und Wofür?
Ehrlich gesagt weiß ich bei dem abgebildeten Bowie keine Antwort.
Vielleicht spielt es auch eine Rolle, wie in das Schnittgut gestochen wird und wie dann in dem Schnittgut weitergeschnitten wird.
Ich habe mich oft gefragt, welchen Sinn diese Hawkbill(???) Klingenform macht. Ähnlich wie beim Microtech Kestrel.
Beim Aufschneiden von eingeschweißten mannshohen Paletten und Kartons merkte ich dann warum. Dort waren bauchige Klingen völlig nutzlos und am Ende setze sich ein 1-Euro-Kartoffelschälmesser durch. :D
 
Hmm, soweit ich weiß war bei den ersten Bowie´s der vordere Teil vom Klingenrücken scharf. Wenn man da, wie heute üblich, nur eine Fehlschärfe anbringt, dann funktioniert das nicht mehr wie gedacht. Sieht nur noch aus wie ein Bowie.
 
Die Form richtet sich nach der Funktion...
Bei Bowies muss ich an Cowboys denken.
Haben die nicht viel mit Leder oder auch Schnüren und Seilen zu tun?
Mit der Klingenform lässt sich die Klinge leichter in Schlaufen schieben, als bei dem Böker.
Der mittlere Klingenbereich ist dann trotzdem noch für kleine Hackarbeiten geeignet.
Nur so ein Gedanke, weil ich vor einigen tagen die Nähte einer Hose auftrennen musste und dafür mein sonstiges EDC ungeeignet war.
 
Hallo Leute!

Klar, für feinere Schnitzarbeiten oer so taugt die Bowiespitze natürlich besser. Allerdings ist dann der Griff soweit von der Spitze weg, daß man schon ziemlich herumwürgen muß. Für sowas würde ich zwar eine Hechtklinge nehmen, aber dann eher mit so etwa 6cm Klingenlänge, maximal. Dito, um Nähte zu öffnen. Zumal ja die Wildwestbowies auch nicht nur 13cm zierlich waren, sondern schon etwas größer. Da macht es dann schon bald Sinn, ein großes Bowie aus Kohlenstoffstahl (zum hacken) zu nehmen, und ein kleines aus 440C oder so für Feinarbeiten.

Über die Sache mit dem Anschleifen habe ich auch nachgedacht. Klar ist, wieso es heute hier nicht gemacht wird - weil man dann eine Art Dirk hat, und das Ding auf jeden Fall als Waffe gilt, nicht als Werkzeug, weswegen der Kundenkreis sich einschränkt, und für den Kundenkreis auch die Mitnahmemöglichkeiten. Und WENN man schon eine Waffe kauft, dann kann man auch gleich die einschlägigen, rein dafür konstruierten Teile kaufen, da brauchts kein Bowie, das wäre ja wie einen Golf auf Sportwagen zu trimmen (-;

Viel schlimmer aber: Wenn das Bowie im Hohlschliff ist, und man die Fehlschärfe auch noch anschleift, dann wird die Spitze ja noch fragiler. Waren die "im wilden Westen" wirklich hinten scharf? Oder hatten die ganz einfach keinen Hohlschliff?

Bei den Küchenmessern - die haben sehr oft einen geraden Rücken, damit hat man natürlich Stabilität in der Spitze, klar.

*winks* Daelach
 
Damit stellt sich mir aber nun die Frage, wieso ein Bowie so geformt ist
Weil es gut aussieht?
Nach Bowies Duell,als die Bowiemesser populär wurden,kamen fast alle Messer aus Sheffield und vereinzelt auch aus Solingen.
Weder in den USA noch in england wusste man wie das Messer von Bowie aussah,außer daß es groß war.
Anfangs wurde jedes große Kampfmesser als Bowiemesser bezeichnet,vom London Hunting Knife bis zum phantasie Krummdolch,bis sich die bekannte Form durchsetzte.
Das Ergebnis fand ich verblüffend: Das Linder sieht wesentlich stichiger aus
Das und der Umstand daß die Form neu war könnte der Grund dafür sein.
 
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