Kleiner Elch - Custom Pocket Puukko von Jean-José Tritz

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“Ich habe mich bereits dreimal geschnitten...“

Jean-José Tritz am 25. November


Moin zusammen,

ich habe die folgende Ode an das Puukko von Jean-José Tritz schon einmal an anderer Stelle zitiert:

„In my opinion, puukkot are the most elegant, effective all purpose knives …. I simply love their simplicity, effectivity in use, their elegant, timeless, non obstrusive lines …. I love the way they lie in my hands. I love the feeling, when I hold one, and turn it around …. it cuts also because of the very clever practice oriented cross section and distal geometry …. a nearly flat convexe edge going down to zero and up to the maximum thickness of 4,5mm and down again to the backspine of about 4 to 3mm or even less.”

Das ist Musik in meinen Ohren - also habe ich bei Jean mal nachgefragt, ob er mir eins baut:

Kleines Puukko mit 7 cm Klinge aus 1.2516, durchgehend und am Knauf vernietet, 10 cm Griff aus Elchgeweih (schwarz abgesetzt), Schliff minimal ballig auf Null ohne Microfase, rhombischer Querschnitt, einfache Steckscheide für die Jackentasche …

Und?? Jean hat geliefert :p !!


Der Griff

Der flachovale, leicht tonnenförmige Griff mit einer Länge von 9,7 cm ist aus Elchgeweih schwedischer Herkunft. Er ist vorn und hinten abgesetzt mit Hornspitze vom Wasserbüffel. Die Raute für die Vernietung am Griffende ist aus Bronze.

„… Elch-Geweihe sind die am schnellsten wachsenden Knochen der Welt. Jedes Jahr wird das ganze Geweih zwischen März und August voll ausgebildet. Diese Knochen sind im Moment mit dieser schützenden Samt-Haut überzogen und gewinnen jede Woche 3 cm an Länge.“

Und - Elche sind deutlich größer als Rentiere ;)


Der Griff ist hochglanzpoliert und an allen Ecken wunderbar abgerundet, Handlage und Haptik könnten nicht besser sein. Sehr schön die leichten grau-braunen Schattierungen und die dunkelbraunen Strukturen, die keine Langeweile beim Anblick aufkommen lassen.


Die Klinge


Daniel Boll hat mich auf den Trip gebracht und mir den lange Zeit in Vergessenheit geratenen 1.2516 ans Herz gelegt. Der niedrig wolframlegierte Stahl - der seiner blankgezogenen Oberfläche wegen auch Silberstahl genannt wird - ist in der Regel als Rundmaterial im Handel und muß vor seiner Verarbeitung zu einer Klinge zunächst erst einmal flachgeschmiedet werden.

1.2516 aka 120WV4: C: 1,2 Si: 0,2 Mn: 0,3 Cr: 0,2 V: 0,1 W: 1,0 (Silberstahl)

Der 1.2516 nimmt bei sehr guter Schneidkantenstabilität eine höchst beeindruckende Schärfe an, was mich bei Daniels Sündenbock in Gänze überzeugt hat. Also wollte ich für dieses Puukko diesen Stahl. Als besonderes Schmankerl sei erwähnt, daß sich im Rahmen meiner Kommunikation mit Jean herausstellte, daß er das Rundmaterial von Daniel hat, die Klinge des Puukko also aus der gleichen Charge stammt wie diejenige des Sündenbock :)

Die 6,8 cm lange und 19 mm hohe - maximal 3,75 mm starke - Klinge hat einen rhombischen Querschnitt und verschlankt zum Klingenrücken wieder auf 2 mm. Von den 3,75 mm am Griff verjüngt sie sich stetig bis zur Spitze (distal tapered blade). Sie ist ab 13 mm Klingenhöhe minimal ballig auf absolut Null durchgeschliffen. Wie gesagt - Jean hat geliefert :super::super:!!!

Wenn man die Klinge zur Schneidenspitze hin zwischen Daumen und Zeigefinger durchlaufen läßt, spürt man, wie sie sich sozusagen in Luft auflöst. Die ersten Schnitte in Papier lassen keine Fragen aufkommen. Hier liegt Schärfe an ...

Hinter der Wate sehen wir 0,25 mm - der Kosinussatz liefert einen Gesamtschneidenwinkel von 16,58 Grad:

Cos γ = ( (13² + 13² - 3,75²) / 2x13x13 )
Cos γ = (169 + 169 - 14,0625) / 338
Cos γ = 323,9375 / 338 = 0,9583949704
Arccos 0.9583949704 = 16,58547457 Grad


Exkurs: Die Vorzüge des rhombischen Klingenquerschnitts

Würde der Anschliff bei voller Klingenhöhe von 19 mm beginnen, wäre die Klinge 5 mm dick, was der Schneidfreude abträglich wäre, insbesondere, wenn sie irgendwo ganz durch muß. Und 3,75 mm sind mehr als ausreichend für ein stabiles Fixed dieser Größe.

Würde man andererseits bei 19 mm Klingenhöhe und Anschliff von oben die Klingenstärke auf 3,75 begrenzen, käme man mit dem Schneidenwinkel in die Bredouille. Anstatt 16,58 hätten wir nur 11,33 Grad Gesamtschneidenwinkel. Eher etwas wenig für ein kleines „Brecheisen“ …

Cos γ = ( (19² + 19² - 3,75²) / 2x19x19 )
Cos γ = (361 + 361 -14,0625) / 722
Cos γ = 707,9375 / 722 = 0,9805228532
Arccos 0.9805228532 = 11,32681301 Grad

Ein weiterer Vorteil des rhombischen Querschnitts liegt in der geringeren Reibung. Beim Schnitt durch - insbesondere sperriges Schnittgut - verringert sich die Länge der Kontaktfläche von 19 auf 13 mm, was die Reibungskräfte reduziert. Der dezent ballige Schliff wirkt in die gleiche Richtung.

Letztlich geht es mit dem Rhombus auch besser und eleganter um die Kurve, es lassen sich kleinere Radien schneiden …


Die Scheide


Für die Taschentauglichkeit hat Jean mir anstelle eines Leders einen Klingenschutz aus Birkenrinde anempfohlen:

„Die Birkenrinde ist ein erstaunliches Material. Sie hat Eigenschaften ähnlich Kork. Sie wird die Klinge festhalten, aber nicht so fest, daß sie nicht mehr wieder herauskommt. Ferner ist sie antiseptisch. Außerdem nimmt sie keine Feuchtigkeit auf.

Eine gewisse Aufmerksamkeit beim Herausziehen und wieder Einstecken ist schon angebracht, im Anbetracht dessen wie scharf die Klinge ist. Was den Trage-Komfort anbelangt, ich kann nur Gutes berichten. Ich habe oft mein Messer so getragen.

Die Birkenrinde kommt aus Mikkeli in Finnland, von meinem Freund Mikko Inkeroinen für mich gesammelt.“


Jean hat nicht zu viel versprochen. Die kleine Steckscheide sitzt schön stramm auf der Klinge, bietet einen sicheren Schutz und wiegt so gut wie nichts (Puukko 77 Gramm, mit Scheide 84 Gramm).

Sehr stimmig alles insgesamt, was Stil des Messers, Material und Herkunft anbelangt …


Mal was schneiden

Ich hab mich dann mal ans Schneiden gewagt. Und mir diverse Hölzer vorgeknöpft. Von Irgendholz über Eukalyptus frisch geschnitten bis zu hartem und gut durchgetrockneten Olivenholz. Wie nicht anders zu erwarten bei einer jungfräulichen Klinge von derart filigranem Anschliff, gab es ein paar Mini-Chips, die ich durch Abziehen auf Schleifleinen alsbald wieder entfernt hatte.

Und - wie ebenfalls nach guter Erfahrung mit anderen Messerchen diesen Kalibers und dem fabelhaften 1.2516 erwartet - hat sich die Schneide stabilisiert und bewältigt dieselben Aufgaben nun ohne Zicken. Mikrobilder mit dem Lichtmikroskop zeigen jetzt nach Gebrauch eine fein geschlossene Schneide :)!


Custom Pocket Puukko von Jean José Tritz

1.2516 aka 120WV4: C: 1,2 Si: 0,2 Mn: 0,3 Cr: 0,2 V: 0,1 W: 1,0 (Silberstahl)

Fixed
Gesamtlänge: 165 mm (180 mm mit Scheide)
Klingenlänge: 68 mm (71 mm scharf entlang der Schneidfase gemessen)
Klingenhöhe: 19 mm max., 17 mm in der Klingenmitte
Klinge: 3,75 mm 1.2516 aka 8120WV4, gut über 60 HRC, kein Ricasso, keine Schleifkerbe, distal tapered blade
Der dezent ballige Anschliff beginnt auf etwa 3/4 der Klingenhöhe auf 13 mm. In der Klingenmitte sehen wir eine maximale Stärke von 3,2 mm in der Höhe von 12 mm. Darüber verjüngt sich die Klinge deutlich auf 1,8 mm am Klingenrücken. Sie ist leicht ballig ausgeschliffen und geht definitiv auf Null. Hinter der Wate sehen wir 0,25mm.
Der Gesamtschneidenwinkel beträgt 16,58 Grad …
Griff: 97 mm Elch-Geweih mit Wasserbüffelhorn-Spitzen
Griffdicke: Vorn - Mitte - hinten: 14,6 - 20,2 - 16 mm
Griffhöhe: Vorn - Mitte - hinten: 22,8 - 28 - 25 mm
Gewicht: 77 Gramm (mit Scheide 84 Gramm)
Deutlich hecklastig
Kleine Steckscheide (Klingenschutz) aus Birkenrinde


Der kleine Elch allein, mit Daniels Tommi Puukko und dem Sündenbock

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Aus sunny Monte Gordo

R’n‘R
 
Ein paar Mikrobilder noch. Zunächst die Klinge im Originalzustand nach einigen Schneidversuchen in hartes Olivenholz (Bild 1). Dann Abzug auf Schleifleinen bis 8.000 (Bild 2). Weitere Schnitt-Tests so gut wie ohne Blessuren (Bild 3). Die Verfärbung kommt vom frischen Eukalyptus-Holz.

Danach erneut Abzug auf Schleifleinen 2.400 (Bild 4) und 4.000 (Bild 5). Dabei belasse ich es erst mal. Die Schneide hat sich stabilisiert..

Anhand der Mikrobilder kann man gut erkennen, wie schlank ballig der Anschliff verläuft. Wir sehen fast eine gerade Fläche wie bei einem Scandi auf Null. Nur wenn man ein Lineal aus Metall hochkant auf die Klingenflanke legt, erkennt man die minimale „Wippe“.

01 Micro Chip.jpg 02 Abgezogen.jpg 03  Nach dem schneiden.jpg 04 Abgezogen auf 2.400er.jpg 05 Abgezogen auf 4.000er.jpg

R’n‘R
 
Moin Peter,

sehr schönes Messer mit einer schönen Materialauswahl.

Irgendwie mag ich das schlichte, reduzierte Design der Puukko‘s.

Puukko’s müssen also nicht aus Skandinavien kommen!

Gruß Olli
 
Hallo Rock‘n‘Roll,

Das vorweg genommene Resümee von JJT hast Du mit der Dir eigenen Akribi wieder wissenschaftlich belegt. Jahrhunderte Erfahrungen stecken in dem „know why“ des Designs dieser vermeintlich einfachen Messer. Auch wenn inzwischen einige Puukkot anders daherkommen, der rhombische Klingenquerschnitt ist für mich unverzichtbares Merkmal. Mit Sinn, wie Du ja beschrieben hast.
Interessant sind auch die vielfältigen historischen Scheidenformen und Materialien, die Birkenrinde ist allemal gut gewählt. Du ahnst es...ich bin Fan!:super:

Ein schönes Messer für pure Freude beim Zerspanen von Hölzchen und Stöckchen! Ein Messertyp mit Suchtpotenzial. :irre:

Gruß
Abu
 
Moin Olli, moin Abu,

da sind wir uns einig - das „schlichte, reduzierte Design“ „dieser vermeintlich einfachen Messer“ ist bestechend. Überzeugende Werkzeuge mit gehörigem „Suchtpotential“ …

Bom fim de semana, R’n‘R
 
Servus,

wieder ein Rosinchen geholt. ;) Wenn man soviel verschiedenen Kuchen ausprobiert hat, richtet man seinen Focus auf die Goldkrümel und wenn's auch nur eines im Jahr ist, ist es allemal besser als zu viel vom Durchschnitt. :super:

Ich kenne von JJT nur seine Küchenmesser und die sind mir zu schlicht und einfach gehalten, obgleich sie funktionell je nach Eigenschaft ausgezeichnet sein können. Meine persönliche Erfahrung hat nach zwei Versuchen, mir ein Messer nach meinen Ansprüchen zu machen, damit geendet, dass ich nie eine Antwort auf meine Anfragen bekommen habe und aus heutiger Sicht ist das gut so. ;)

Ich bin nicht nachtragend und wahrscheinlich hätte er sich stilistisch und überhaupt zu viel verbiegen müssen, um meinen Erwartungen und Wünschen gerecht zu werden. Kunden wie ich einer bin sind schwierig und oft ist es besser man verzichtet auf solche, wenn man nicht wirklich bereit dazu ist. ;)

Ich wünsche viele vergnügliche Stunden der Holzbearbeitung mir dem schönen Puukko.

Gruß, güNef
 
Ich freue mich ja immer über Vorstellungen zu Messern von jjt! Ich mag ihn und sein Schaffen sehr. Da hast du dir mal wieder was feines gegönnt, Peter. Und wieder Lesestoff und Hintergründe aufgetischt. Herrlich! Glückwunsch zu dem Puukko und all Zeit gut Schnitt.
 
Moin güNef,

so ist das halt, wenn Individuen aufeinandertreffen ;)

Und Orestes, danke für die guten Wünsche!

Hier noch ein Bild vom Schnitt durch ein Schilfrohr. Für mich nach reichlich Vergleichen mit allen möglichen Messern untrüglicher Indikator für eine gelungene Klingengeometrie. Geht der Schnitt leicht und ohne jede Ablenkung strikt geradeaus durchs Rohr und hinterläßt ein absolut sauberes Schnittbild, dann taugt die Klinge :super:

DSC04518.jpg

R’n‘R
 
Hier passen Kunde und Messermacher sehr gut zusammen.

Künstlerisch hat JJT ein gutes Geschmack.
Griffqualität ist bei JJT sehr gut- sehr selten schrumpft was. Ich hab noch keine Risse oder später im Gebrauch entstandenen Spalten gesehen.
Er kann besonders gut schmieden und besonders genau Lagen anpassen (3-Lagen-Klingen).
Bolster-Anpassung ist ungenau bei ihm, davon geht aber nichts kaputt. Bzw. nach Aufforderung kann er die auch gut (genau) machen.
Finish ist nicht seine Stärke, daher... güNef... da muss man kaum noch was schreiben.
 
Passen hinsichtlich Auftritt und Schärfe gut zusammen - Jeans Puukko und Thomas Frobergs Practical Dagger (Walroßzahn & 1.2552) ...

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R’n‘R
 

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