Kochmesser: Klingengeometrie und Festkleben am Schnittgut

scuffi

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Hallo zusammen,
Ich habe mal eine Frage bezüglich der Qualität von Kochmessern und ob sich daraus ableiten lässt, wie viel Druck man aufwenden muss, um durch dickes, nicht ganz weiches und saftiges Schnittgut zu schneiden.

Hintergrund: ich koche privat gerne und habe mir ein relativ günstiges Kochmesser aus chinesischer Produktion bestellt (30€, 7cr17mov Stahl, etwa 57 HRC). Prinzipiell bin ich damit sehr zufrieden, aber ich habe bemerkt, dass ich bei z.B. großen Zwiebeln eher viel Kraft aufwenden muss um sie zu durchteilen. Das Messer habe ich auf Rasiermesserschärfe geschliffen und hat eine gerade, dezent v-förmig zulaufende Klingengeometrie (wie vermutlich viele Kochmesser). Ich habe bemerkt, dass sich feuchtes Schnittgut sehr leicht an den Seiten des Messers regelrecht "festsaugt", was wie gesagt dazu führt, dass sich besagtes Schnittgut relativ schwer schneiden lässt. Im Gegensatz dazu, geht das Messer zum Beispiel durch Fleisch wie durch Butter.

Geht das mit teureren, hochwertigen Messern leichter? Ich kann mir rein physikalisch nicht erklären, warum es das tun sollte, wenn die Messerwände auch glatt sind wie bei meinem Messer.

Kann da jemand auf Erfahrungswerte zurückgreifen? Ist das normal?

Vielen Dank schon einmal!
 
Servus,

das Zauberwort heißt Klingengeometrie. Diese hat mir Schärfe eigentlich nix zu tun. Dein Messer ist überspitzt formuliert ein angeschliffenes Blech so wie hier:

34937744ct.jpg


Die linke Klinge hat dein beschriebenes V angeschliffen und ist zu dick hinter der Schneide und braucht bei hartem Schnittgut viel Druck und Kraft. Die rechte Klinge ist dünngeschliffen, hat kein spürbares "V" mehr weil die Schneidfase unter einem 1/10mm Breite liegt und dahinter wenig Material steht und nur langsam an Dicke zunimmt. Bei weichem und nachgiebigem Schnittgut wie Fleisch ist die Geometrie der Klinge weniger relevant und Schärfe wichtig wie du ja bei deinem "V"-Schliffmesser selbst bemerkt hast. Hier hat die dicke Geometrie keinen Nachteil. Ein dünngeschliffenes Messer gut geschärft schneidet hartes und weiches Schnittgut gleich gut, nur ist die Schneide empfindlicher und verträgt deshalb weniger einen sorglosen Umgang wie ein stabil geschliffenes Messer.

Das Ankleben oder nicht ankleben von Schnittgut nennt man "Food release" was nichts anderes bedeutet wie "Schnittgutfreisetzung" Hier spielen Schliff, Geometrie und die Oberfläche der Flanken eine entscheidende Rolle. Ballig geschliffene Klingen mit starkem Taper sind je nach Schnitttechnik am wirkungsvollsten.

Bei sehr dünnen Klingen behilft man sich mit geometrischen Kniffen wie z.B. einer eingeschliffenen Hohlkehle:

35862458ya.jpg


Flachgeschliffene und glatte, dünne Klingen saugen sich am Schnittgut fest, bzw. der Abschnitt haftete stark an den Flanken.

Ich hoffe die grobe Erläuterung war verständlich?

Gruß, güNef
 
Vielen Dank für deine Antwort. Also könnte ein dünnerer Schliff die Kraft die man aufwenden muss, um durch harte Lebensmittel zu schneiden, reduzieren. Allerdings bezweifle ich in meinem Fall, dass der Stahl hart genug ist, um bei einem spitzen Schleifwinkel lange scharf zu bleiben.

Die Klinge meines Messers wirkt allerdings nicht so dick wie die auf dem Foto. Die Stelle hinter dem Anschliff ist 0,55mm dick, am gegenüberliegenden Ende sind es genau 2mm.

Du hast mit Sicherheit recht, mit dem Schliff bzw. mit der Form des Stahls. Aber ich bin mir fast sicher, dass das "ansaugen" eine noch größere Auswirkung auf den Schnittwiderstand hat.
Wenn ich beispielsweise relativ harte Lebensmittel schneide, die aber nicht kleben, oder klein genug sind, dass sie bei schneiden nicht an der gesamten Breite der Klinge entlang fahren, geht es problemlos. Ich gehe davon aus, dass dies ein allgemeines Problem bei glatten Klingen ist, und nicht zwangsläufig mit minderwertiger Qualität zu tun hat.
 
Hey,
es gibt reichlich Berichte hier oder in Nachbarforen, wo User ihre kräftigen Klingen z.B. bei J. Schanz ausdünnen liessen ("schanzen"), und danach von einem deutlich besseren Schneidverhalten berichten.
Das Ansaugen von Schnittgut erhöht den Schneidwiderstand vernachlässigbar wenig. Du wirst ungleich weniger Kraft aufbringen müssen, dein Schnittgut abzustreifen als eine dicke Klinge im Vergleich zu einer dünnen Geometrie durch hartes Schnittgut zu drücken. Der schlechtere Food release stört nur den Profi beim schnellen Arbeiten. In der privaten Küche spielt das praktisch keine Rolle.
Auch hat ein etwas höherer Schleifwinkel bei weichem Stahl weniger Bedeutung (s. "Mikrofase") im Schneidverhalten, mehr in der Schneidkantenstabilität ( Umlegen der Schneidkante).
 
Servus,

mit "V"-Schliff und 0,55mm Dicke über der Schneide hat die Geometrie ihre liebe Not mit hartem Schnittgut. Das Ansaugen an Lebensmittel merkt man bei hohem Schnitttempo nicht, wer hingegen langsam und bedächtig schneidet, wird das schon bemerken, vor allem dann, wenn er schon die Erfahrung gemacht hat, dass es auch ganz anders und viel besser funktionieren kann. :D

Gruß, güNef
 
"dezent v-förmig zulaufende Klingengeometrie" - damit war höchstwahrscheinlich nicht die Wate gemeint, sondern ein v-Flachschliff vom Rücken zur Spitze. Ansonsten muss ich Günef in allem zustimmen.

0,55mm hinter der Schneidfacette machen definitiv keinen Spaß beim Zwiebelschneiden und erfordern viel Kraft. Bei weichem Fleisch macht sich das nicht bemerkbar. Das geht einem Wert unter 0,2mm bedeutend leichter. Der Ansaugeffekt hängt aber von Oberfläche der Flanke ab. Durch einen balligen Anschliff lässt sich das ein wenig verbessern.

"Allerdings bezweifle ich in meinem Fall, dass der Stahl hart genug ist, um bei einem spitzen Schleifwinkel lange scharf zu bleiben."
Diese Sorge ist unbegründet. Das Scharfhalten mit dem Wetzstahl wird bei einem dünn ausgeschliffenen Messer sogar deutlich einfacher. Natürlich ist eine dünne Schneide etwas empfindlicher, aber wer sein Messer nicht misshandelt und Bestimmungsgemäß einsetzt hat damit keine Probleme.

"Ich gehe davon aus, dass dies ein allgemeines Problem bei glatten Klingen ist, und nicht zwangsläufig mit minderwertiger Qualität zu tun hat."
Richtig.

Das Ansaugen würde ich ebenfalls als weniger relevant als die Klingengeometrie einschätzen. Es kommt bei mir ganz selten vor, das die Sachen so fest ankleben, dass sie das Schneiden behindern.
 
Danke euch. Ihr habt mich überzeugt. Durch den maschinellen Werkschliff, ist die Klinge unten vermutlich doch zu breit. Ich werde dem Messer einen flacheren Winkel anschleifen und auch auf die Übergänge achten und dann mal gucken ob sich was getan hat. Bei einem 30€ Messer werde ich jedenfalls nicht die komplette Klinge ausdünnen lassen. Das ist es mir dann doch nicht wert.
 
Sieh es mal so, wenn das Messer ansonsten gut verarbeitet und aus einem brauchbaren Stahl ist, hast du nach der professionellen Überarbeitung ein Messer, das immernoch sehr günstig ist, sich aber vor den meisten anderen Serienmesser nicht verstecken muss.

Die Klingengeometrie händisch auf Banksteinen oder gar einem Apex-Klon zu optimieren, wenn hinter der Wate schon 0,55mm lauern, halte ich für gelinde gesagt optimistisch.

Gruß,
Daniel
 
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