Bauernmesser - Pfundskerle; Teil I

boogerbrain

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Vor einiger Zeit hat Abu in einem seiner schönen Threads das Thema "Bauernmesser" präsentiert (siehe hier) - auch für mich ist diese auch als "Tuttlinger Bauernmesser" bezeichnete Form von Taschenmessern ein interessanter Zweig der deutschen Messerlandschaft, die man, denke ich, in drei "Zentren" einteilen kann: Solingen, Süd(west)deutschland (Tuttlingen, Schwarzwald, ...) und Böhmen/Sudeten (Nixdorf). Oder?

Na.

Hier soll es ein wenig um die Variante "Tuttlinger Bauernmesser" gehen. Bekanntester Vertreter dieser Messerform dürfte wohl Pius Lang (natürlich die alte Fertigung, nicht das, was da jetzt hergestellt wird) sein, rezent wäre natürlich noch der Herr Kneissler aus Zell am Harmersbach (Schwarzwald) zu nennen - der wurde hier ja schon (zu recht) mehrfach thematisiert. Natürlich gab es auch noch reichlich anderen (Klein-) Hersteller, aus Freiburg z.B. der Herr Ferrazza, der allerdings vor ca. - na - 10 oder 12 Jahren verstorben ist (war trotz des italienisch klingenden Namens kein Italiener), und die Frau Matthis (wobei ich mir bezüglich der Schreibweise nicht sicher bin; Korrekturangaben sind willkommen) aus Dürbheim (vielen Dank, Thomas!) in der Nähe von Tuttlingen; leider auch schon seit Anfang der 2000er Jahre verstorben. Und just von dieser habe ich ein Exemplar ergattern können, allerdings zunächst, ohne davon etwas zu wissen ...

HINWEIS: Die Bilder sind leider suboptimal. Alte Kamera, schlechte Lichtverhältnisse ... :(

J524bue.jpg


Klassische Klingenform, Bunthorngriffe, Neusilberbacken; man sieht die Ahle (zum Kartoffelsackzunähen) und die Säge (zum Sägen, wer hätte es gedacht :)) und erahnt hinter der Säge das - in Ermangelung einer besseren Angabe - Huf-/Hornmesser: eine kurze, stark gebogene Klinge ähnlich der Heppe der Gärtnermesser, aber deutlich kürzer. Was man hier nicht sieht, ist die kleine (Feder-) Klinge. Hier das Messer nochmal senkrecht von der Seite ...

MODgHpM.jpg


... und liegend ...

LUDRZZF.jpg


Was man nicht so sieht, ist die Größe: Die Grifflänge beträgt fast 11 cm, geöffnet liegen wir bei ca. 19 cm ... die Dicke: ca. 3 cm. Weiter unten mehr dazu ...

Der Zustand war/ist sehr gut, fast neuwertig. Superstramme Federn, nix verrammelt/verschliffen/abgenudelt - toll. Hat man selten, leider. Die Klinge ist, wie man sieht, ein wenig "gescheckt" auf der einen Seite, die Ahle hat ein wenig Spiel, und das Hufmesser ist leicht verkratzt. Das war's sozusagen an "negativem".

Fortsetzung folgt .... (hier geht's zu Teil II)
 
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Hallo Kai / boogerbrain,

Dreifach :super::super::super: dafür, dass du...

A. Diese Messertypen wieder mal revitalisierst
B. Deine schönen Stücke hier präsentierst (wobei ich hoffe, dass da noch mehr kommen, bei deinen PL etc.)
C. Mit einem echten Kracher beginnst, wie man ihn selten sieht. Schätze, man braucht Hosenträger, damit der die Böx nicht runterzieht. Tolle und ungewöhnliche Ausstattung mit wunderbaren Schalen.

Ich komme ja mehr aus der Solinger Sammlerecke, aber diese rustikalen und dabei sehr wertig verarbeiteten Messer sind mir inzwischen unverzichtbar. Sie sind ein typisches Abbild lokaler Entwicklungen und Bedürfnisse. Deshalb müsste es eigentlich auch eine sehr klare Bestimmung für die Hakenklinge geben. Aber da gehen die Erklärungen auseinander, mal liest man Hufklingen für Schafe, dann Obstbaumschnitt. Ich zitiere mal:

Horst A. Brunner: „Klappmesser aus zwei Jahrtausenden“, veröffentlicht zur Ausstellung „Klappmesser aus zwei Jahrtausenden“ im Napoleon-Museum Arenenberg/Schweiz 1994:

„„Bauernmesser Praktisch denkende Bauern entwickelte im 19. Jahrhundert spezielle, den eigenen Bedürfnissen angepasste Taschenmesser. Diese ca. 10-12 cm langen Bauernmesser weisen in der traditionellen Ausführung vier Klingen auf: Hauptklinge, Säge, Hakenklinge für die Baumpflege und Sackahle zum Zunähen der Kartoffelsäcke.....““

Was gab‘s mehr in der Region, Schaf- oder Obstbauern? Wenn Hufklinge, würde eine Kombi mit Pansenstecher statt Sackahle doch mehr Sinn machen? Wenn ich das mal von der Nachfrageseite angehe. Da du ja einen Draht zu Kneissler hast, er müsste seine einstigen Kunden ja kennen, heute verbaut er die Hakenklinge ja nicht mehr.

Ja, mit diesen Bauernmessern lässt sich arbeiten, Federn und Stärken lassen keinen Lock vermissen.

Freue mich auf die nächsten, auch wenn sie keine „Pfünder“ sind.

Gruß
Burghard / Abu
 
Hi Burghard,

vielen Dank für Dein Lob ... aus berufenem Mund zählt's doppelt :)

Ich denke, daß die "Huf"-Variante stimmiger ist - Obstbauern haben für den Obstbaumschnitt "passenderes" Werkzeug parat; da wäre so ein Behelfs-Tool am Taschenmesser nicht wirklich geeignet: Nicht umsonst gibt es reichlich verschiedene Messer-Varianten für Gehölze und Veredelung/Beschneidung derselben, die den speziellen Anforderungen besser dienen können/konnten, als es die für diesen Einsatzzweck relativ plumpe Klinge ermöglicht. Wenn man dagegen "mal eben" einen korrigierenden Schnitt an einem lädierten Huf vornehmen muß, ist diese kurze Klinge (=gute manuelle Kontrolle und gute Kraftübertragung) eigentlich sehr gut geeignet. Aber hier dürfen sich auch gerne die Fachleute äußern ... ;)

Korrigieren muß ich Dich bezüglich "(...) heute verbaut er die Hakenklinge ja nicht mehr." - ich habe ein Kneissler-Messer MIT dieser Klinge, das er (OK, auf Bestellung) für mich vor nicht allzu langer Zeit gebaut hat. Ich seh' zu, daß ich es hier auch mal vorstelle ... ich werd' ihn aber auf jeden Fall mal darauf ansprechen - ich gestehe, daß ich mir da bisher noch keinen Kopp gemacht und insofern auch noch nicht nachgefragt habe.

Gruß

Kai
 
Guten Tag,
schönes Thema! Ich liebe mein Kneissler und während ich das hier tippe ist auch eines an meinem Gürtel. Ich hab es an anderer Stelle hier schon vorgestellt.

Ergänzen möchte ich dahin gehend: Nixdorf und dein Fragezeichen.

Nixdorf liegt in der sächsisch-böhmischen Schweiz. Der Ort heißt jetzt Mikulasovice. Von Deutschland aus kann man da recht bequem zu Fuß hin gelangen, wenn man in Sebnitz startet. Öffis gehen auch ganz problemlos.
Mit dem Auto ist es bissel verzwickt, geht aber auch.
Eine Messerfabrik gibt es dort nun noch. Die Marke Mikov kommt von da. Im Werksgelände ist auch ein kleines Museum (Showroomcharakter). Werksverkauf zu bestimmten Öffnungszeiten. Man Sollte aber schon genaue Vorstellungen haben, was man sehen oder kaufen möchte. Eine Auslage der Produkte gibt es zwar, aber längst nicht alles ist zu sehen.
Einmal im Jahr findet ein Tag der Offenen Tür statt. Da sind auch die Streitkräfte Tschechiens da. Die werden wohl mit Mikov ausgerüstet.
Web-Shop ist gut sortiert, Zahlung in Euro möglich. Zu versendende Ware wird in Deutschland eingeliefert: DHL Sebnitz.
Schönen Sonntag! Roc
 
Hallo,
ein wirklich sehr schönes Messer.

Gibt es außer Firma Kneissler noch Firmen,
welche solche Messer Typen---mit mehr oder auch weniger Funktionselementen--- heute noch fertigen und verkaufen?

Kneissler hat zZt. Lieferzeiten von ca. 4 Monaten, aber macht nur noch einteilige Messer,
das mehrteilige Schäfermesser wird wohl zZT garnicht gefertigt laut meiner Anfrage.
Es liegt wohl daran, das man nicht genügend Zeit/Kapazität hat.

Gruß
Störtebeker
 
Hallo Störtebecker,

Ja, edel -und ich fürchte teuer- aus der Schweiz, Google mal Röthlisberger Messerschmiede.

Klötzli hat auch welche im Verkaufsprogramm, wobei ich bewusst nicht schreibe „fertigt“.

Gruß
Abu
 
Hallo,
hier nun mein heute eingetroffenes Messer der Firma Bacher

Klingenlänge: 7 cm
Grifflänge: 9 cm
Zusatzwerkzeug: Säge
Griffstärke: 17 mm
Horngriffschalen
Klingenmaterial: Rostfrei
Federn: Carbonstahl

Guter, gebrauchter Zustand

Zwar nicht mit so vielen Funktionen,
aber dennoch nicht uninteressant zum obigen Messer von User: boogerbrain

Seins ist natürlich erste Sahne

Hier mal Bilder im ungereinigtem Fundzustand:










Hier dann nach der ersten Reinigung:



 
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Hallo Störtebecker,

hinter dem war ich auch wochenlang her - der ganze Müll, den es dazu gab, kann man, denke ich, getrost in die Tonne kloppen -; mir war's aber ehrlich gesagt zu teuer, darum habe ich versucht, den Preis etwas runterzuhandeln ... und plötzlich war's weg. Möglicherweise war ja mein Artikel hier der Auslöser ... :)

Freut mich, daß ein Mit-Forumit das schöne Teil nun hat, da ist's wenigstens in guten Händen; ich bin sicher, Du hast viel Freude an dem schönen Stück. Und die Reinigung - meine Herren! - hat das Teil wirklich richtig verjüngt. Toll gemacht; Respekt! Wie gehst Du da vor?

Danke auch für Dein Lob zu meinem Bacher! Immer, wenn ich so ein altes Bauernmesser sehe, freue ich mich über die rein auf Gebrauch ausgelegte Form und die Proportionen; das waren echte Gebrauchsmesser im besten Sinne. Ich denke mal, daß mein Teil eher ein "Renommiermesser" war und wohl ein Stück weit das Prestige des Besitzers fördern sollte (quelle coincidence ...); solche wie Dein neu erworbenes Stück waren als reine Arbeitstiere weitaus verbreiteter.

Glückwunsch zu dem schönen Messer! Wenn Du's nicht mehr magst, sag' Bescheid ... ;-)

Gruß

Kai
 
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Hallo Kai,
ja Dein Beitrag war letzenendes der finale Auslöser für den Kauf in der Bucht.
Hab es in der Beobachtung gehabt,nur könnte ich trotz Google nix zum Hersteller Bacher finden.
Da ich auf meine Kneissler Messer halt 4 Monate warten muss war ich auf der Suche nach älteren Messer Tuttlinger Machart.
Nach deinem Beitrag hab ich dann zugeschlagen.

Die anderen Messer sind quasi Müll und werden weiterverkauft mit anderen Messern aus Beifängen.

Zur Reinigung:
Also die Klinge und Säge sind rostfreier Stahl und mit Chromputzmittel und Baumwolltuch poliert.
Die Carbonstahl Federn auf der Rückseite auch......die bleiben trotzdem etwas dunkel und stehen dem Griff gut zu Gesicht.

Das Horn mit feuchten Lappen und etwas Kernseife sanft gereinigt,
danach abgetrocknet und mit etwas lebensmittelechtem Öl leicht eingerieben, damit das Horn nicht austrocknet.
Das macht man mit alten Trinkhörner auch so ;-)
So wird es sauber und bekommt wieder einen seidenmatten Glanz.

Die Klinge dann Vorsicht abgezogen auf dem Stein und das Neusilber am Griff auch poliert.
Sonst nix dran gemacht und alles andere nur per Hand und schonend,
damit der Zustand erhalten bleibt.

Starkes maschinelles Polieren oder schleifen mag ich nicht.
Das Messer darf gerne die normalen Altersspuren haben...........es ist ja gebraucht.
So sieht es gut und sauber aus und trotzdem hat es flär.

Jetzt ist es in der Vitrine und kommt sicherlich ab und an mit auf Ausflügen zum vespern etc.
Dafür ist solch ein Stück immer gut .:D

Schön das es Dir auch gefällt, ich hab's am Abend nicht aus der Hand legen können.:steirer:



Gruss Michael
 
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Hi Michael,

ja, das "nicht mehr aus der Hand legen können" kenne ich auch. :D

Freut mich auch, daß mein Artikel die letzten Zweifel beseitigt hat (auch, wenn ich das Messer gern selber gehabt hätte ...). Ich habe diverse Male versucht, einen für mich besser passenden Preis zu bekommen; einen kleineren Rabatt hatte ich schon, war mir aber nicht genug. Na, selber doof ... man kann halt nicht alles kaufen :) Ich glaube, ich war acht oder neun Wochen der einzige Interessent - bis Du dann zugeschlagen hast. Gut gemacht, das kann man auf jeden Fall sagen.

Deine Reinigung/Überarbeitung ist hervorragend, danke für die Erläuterung! Es ist wirklich ein Unterschied wie Tag und Nacht, das ist richtig prima geworden (das neue Foto ist phantastisch, ich könnt' mich ärgern ... ;)). Ich finde es immer klasse, wenn jemand so alte Schätzchen wieder zum Leben erweckt - ich hoffe, Du läßt es nicht allzu lange in der Vitrine ...!! Danke für's zeigen!! :super:

Gruß
Kai
 
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