Linder Crocodile Hunter

jfive

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In unserer schnelllebigen Zeit gerät das Althergebrachte allzu häufig unter die Räder der Moderne. Dieses Phänomen macht natürlich auch vor dem Messerbau nicht Halt. Zwar sind moderne Errungenschaften wie Verbundswerkstoffe oder pulvermetallurgische Stähle faszinierend, doch werden wir mit immer neueren Formen und Materialien förmlich überhäuft, was viele die alten Schätze vergessen lässt. Klassische Messer, die auf traditionellen Mustern und Werkstoffen beruhen, wirken dabei häufig wie eine beruhigende Abwechslung vom sonst hektischen Alltag.
Aus diesem Grund hatte ich mir - als Ergänzung zum kürzlich präsentierten Linder M390 Karelia Hunter - ein großes Haumesser im klassischen Stil gewünscht. Selbstverständlich hätte ein Schneideisen mit modernem Aussehen auch gar nicht zum klassischen Erscheinungsbild des Karelia Hunter gepasst. Fündig wurde ich bei meiner Suche erneut bei der Firma Linder, die mich bereits in der Vergangenheit von ihrer Qualität überzeugen konnte. Aus ihrem Angebot, das viele klassische Modelle beinhaltet, fiel meine Wahl dabei auf das Linder Crocodile Hunter.
Bedingt durch seine enorme Klingenlänge ist es in erster Linie ein Modell für Liebhaber ausgewachsener Messer. Ich zähle mich zu diesen, weshalb mir das Crocodile Hunter auch beim Auspacken ein ebenso ausgewachsenes Lächeln ins Gesicht zauberte. Da mir das Modell bis vor kurzem nie aufgefallen war, möchte ich es nun im Folgenden einmal genauer vorstellen.

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Die Klinge
Vermutlich das auffälligste und zugleich beeindruckendste am Crocodile Hunter ist die schier nicht enden wollende Klinge. Sie ist ziemlich genau 26 cm lang, ordentliche 5 mm stark und trägt den Aufdruck “Solingen Germany, Carbon Steel”. Als Klingenmaterial findet der Kohlenstoffstahl C60 Verwendung, den man häufig auch in Beilen und Äxten antrifft und der mit 58-59 HRC eine vernünftige Härte vorweisen kann. Es ist ein äußerst zäher Federstahl und somit für Haumesser eine gute Wahl. Leider fällt die Schneide beim vorliegenden Exemplar für mein Empfinden etwas zu robust aus. Ein feinerer Anschliffwinkel hätte die Schneide sicherlich noch vertragen, ohne dass dabei die Schneidkantenstabilität in Gefahr geraten wäre. Ein balliger Anschliff hätte in meinen Augen der Klinge die Krone aufgesetzt. Zugegebenermaßen tun sich allerdings viele Anwender beim Nachschärfen eines solchen Anschliffs schwer. Glücklicherweise lässt sich die Schneidfase aber mit etwas handwerklichem Geschick und den nötigen Schleifutensilien individuell anpassen.
Ansonsten gibt es an der Klinge nichts zu beanstanden. Das zweckmäßig satinierte Finish wurde ordentlich ausgeführt und die Klinge ist auf beiden Seiten symmetrisch geschliffen.
Die Klinge findet ihren Abschluss in einem Gewinde, durch das sie mit dem Knauf verschraubt ist. Auf Nachfrage bei Linder wurde mir mitgeteilt, dass man den Erl weich belassen hat. Somit sollte die verwendete Konstruktion eine ausreichende Stabilität mit sich bringen.

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Trotz des Säbelschliffs, der sich nur über knapp 50% der Klingenhöhe erstreckt, beißt sich das Messer beim Hacken tief ins Holz. Für feinere Schneidaufgaben eignet sich das große Messer natürlich weniger. Dabei sei aber erwähnt, dass ein geübter Anwender mit entsprechender Technik auch unter zur Hilfenahme großer Klingen noch erstaunlich feine Arbeiten erledigen kann. Wie für jedes große Messer sollte man dem Crocodile Hunter für filigrane Arbeiten aber besser einen kleinen, schneidfreudigen Compagnon zur Seite stellen.

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Der Griff
Das Crocodile Hunter wurde mit edlem und trotzdem belastbarem Cocobolo-Holz als Griffmaterial ausgestattet. Es liegt auf Grund seines großzügigen Volumens sehr satt und angenehm in der Hand. Die aus Neusilber gegossenen Monturen werden vom Holz durch Lederscheiben getrennt. Der Handschutz ist überraschend massiv ausgeführt und verleiht dem Messer ein hervorragendes, sicheres Griffgefühl. Dieses wird durch den Knauf, der für meinen Geschmack ein wenig voluminöser hätte ausfallen können, etwas gedämpft. Zwar ist er nicht vollkommen unterdimensioniert. Ein bisschen mehr an Fülle hätte das Griffgefühl, insbesondere beim Hacken allerdings spürbar verbessert. Für einen Fangriemen, der das Problem im Ansatz hätte kompensieren können, fehlt es leider am dafür benötigten Durchbruch im Knauf. Der Fairness sei allerdings erwähnt, dass eine Vergrößung des Knaufs dem Messer optisch geschadet hätte. Vielleicht wurde insgesamt ein guter Kompromiss zwischen Haptik und Optik gefunden.

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Die Scheide
Für den Transport ist dem Crocodile Hunter eine Scheide aus Rindsleder beigelegt. Sie ist ordentlich verarbeitet und ausreichend passgenau. Was an der Scheide sehr positiv auffällt, ist ein kleines, doch häufig übersehenes Detail: Das metallene Gegenstück des Druckknopfes, das im geschlossenen Zustand am Holzgriff des Messers anliegt, wurde durch ein kreisrundes Stück Textilgewebe abgedeckt. Dadurch werden unansehnliche Macken im schönen Cocobolo-Holz vermieden. Es ist erfreulich zu sehen, dass bei einem solchen Detail mitgedacht wurde und es dem Anwender erspart bleibt, noch einmal selbst Hand anlegen zu müssen.

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Der Used Look
Schon nach kurzer Zeit sind die Monturen des Crocodile Hunters mit einer leichten Patina überzogen. Schützt man die Klinge nicht, zum Beispiel durch einen dünnen Ölfilm, wird ihr das gleiche Schicksal im Handumdrehen blühen. Das ist bei einem Blick auf die verwendeten Materialien des Messers allerdings auch nicht überraschend. Wer eine Patina und den damit einhergehenden “Used Look” zu schätzen weiß, kommt beim Crocodile Hunter voll auf seine Kosten. Wer mit oxidierenden Materialien allerdings nichts anfangen kann, sollte sich den Kauf des Messers sicherlich zweimal überlegen. In jedem Fall muss man dem Messer ein gewisses Maß an Pfelge zukommen lassen.
Persönlich finde ich, dass gerade einem Messer wie dem Crocodile Hunter eine Patina hervorragend steht. Sie verleiht ihm ein authentisches Äußeres und erzeugt das Gefühl, als stamme das Messer aus einer anderen, längst vergangenen Zeit. Insbesondere die anfänglich sehr gold-glänzenden Monturen rücken mit der Zeit durch die Oxidationsschicht dezent in den Hintergrund. So kommt auch das wunderschön gemaserte Cocobolo-Holz, das hervorragend mit dem restlichen Messer harmoniert, noch mehr zur Geltung.

Verarbeitung
Mit dem mir vorliegenden Exemplar des Crocodile Hunters hat Linder - insbesondere beim “Fit und Finish” erneut hohe Qualität abgeliefert. Griff und Klinge sind sauber gearbeitet; Spaltmaße sucht man vergebens. Insgesamt macht die gebotene Verarbeitungsqualität dem Messer-Standort Solingen alle Ehre.

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Ein kleiner Exkurs
Das Modell Crocodile Hunter kann schon eine Tradition vorweisen. Das wird spätestens dann offenkundig, wenn man die Bildersuchmaschinen mit dem Begriff “Linder Crocodile Hunter” füttert. Als Ergebnis wird man nämlich nicht selten auf ein leicht abgewandeltes Modell der Firma Kershaw stoßen. Dieses führt den Zusatz “Solingen Germany”, was etwas verwirren mag. Ursache für diese Kuriosität ist eine Partnerschaft, die die Firma Othello (Anton Wingen jr.), die früher das Crocodile Hunter im Programm hatte, mit dem Unternehmen Kershaw eingegangen war. Das Crocodile Hunter wurde scheinbar aus Deutschland importiert und in den USA unter dem Label “Kershaw” vertrieben. Die Firma Othello ist seit Mitte der 1990er Jahre leider nicht mehr im Geschäft. Seit wann das Crocodile Hunter bereits in Solingen produziert wird, ist ohne weiteres leider nicht herauszufinden. Durch die Bewerbung des Messers in einem alten Katalog lässt sich allerdings mit Sicherheit sagen, dass dieses Modell seit mindestens 1988 erhältlich ist.

Daten zum Messer
Klingenlänge: 26 cm
Klingenhöhe: 4 cm (beginnend mit 3,5 cm nach dem Ricasso)
Klingenstärke: 5 mm
Gesamtlänge: 38,5 cm
Stahl: C60 @ 58-59 HRC

Fazit
Das Crocodile Hunter ist mittlerweile das dritte Messer der Firma Linder, das sich in meinem Besitz befindet. Und wie bereits seine beiden Vorgänger kann mich auch das Crocodile Hunter in seiner Gesamtheit vollkommen überzeugen. Zwar hätte der Knauf vielleicht etwas üppiger und der Anschliff etwas feiner ausfallen können. Doch beides kann den Eindruck des Messers nicht erschüttern. Man erhält mit dem Crocodile Hunter ein stimmiges Produkt, das sowohl hinter Glas, als auch im tatsächlichen Einsatz eine gute Figur abgibt. Für die richtig harten Aufgaben, ist es mir dann aber doch zu schade.
Wer ein Faible für Messer dieses Kalibers hat, trifft mit dem Crocodile Hunter eine sehr gute Wahl.

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Vielen herzlichen Dank für das wirklich überzeugende Review. Sehr schöne Bilder und kompetente Erläuterungen vor dir machen das lesen
und anschauen zu einer Freude.
Schön ist es auch, dass sich offenbar wieder mehr Messerfreunde für Messer aus Solingen interessieren.
 
Danke für das liebevolle Review. Ich hab noch das spiegelpolierte Croc von Othello/Wingen liegen, damals vom Konfirmationsgeld gekauft. Allerdings demontiert, da die Holzhülsen und die Zwischenlagen irgendwann mal so ausgetrocknet waren, daß es wackelig wurde. Ich wollte das nach 'ner Gundreinigung wieder fertigmachen, war dann aber nich dazu gekommen. Daher danke für den Impuls, vielleicht schaff ich dadurch jetzt endlich mal.
Für die Krokoprägung auch der Scheide hat Linder offenbar den alten Stempel übernommen. Aber die Scheide scheint insgesamt etwas verbessert zu sein. Hoffentlich auch am Ort, bei meiner alten von Wingen war die Naht noch gegen die Klingenspitze ungeschützt, da mußte ich nach kurzer Zeit erstmal flicken lassen und hab später dann noch einen partiellen Keder nachgerüstet.

"Das ist doch kein Messer ... :haemisch:
 
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Danke Leute. Freut mich wenn euch das Review gefallen hat. Wird in Kürze mehr geben.

@polaris
Du musst deins wieder zusammensetzen. Ist ja jetzt schon eine Rarität :)
 
Hallo!

Der Thread ist ja bißchen älter. Frage trotzdem: ist die Klinge identisch mit dem "Big Western"?!

Gruß
Henning
 
Danke... die Form scheint ja die gleiche zu sein.

Mit dem unterschiedlichen Stahl war mir nicht bekannt.

Gruß
Henning
 
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