Review Dendra Russian Bear SW

Owain

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Als ich das Dendra Russian Bear zum ersten Mal im Böker-Katalog sah, löste es einen unmittelbaren „Haben-wollen-Reflex“ aus. Der konnte dann zwar eine Weile unterdrückt werden, aber da an diesem Messer alles zu passen schien, musste es dann doch bestellt werden.

Das Messer wird von Lionsteel in Manigo hergestellt, und das merkt man auch. Der von den Lionsteelmessern gewohnte hohe Standard findet sich auch beim Dendra Rusisan Bear. Die Griffschalen sind perfekt spielfrei angepasst, allerdings sind sie ca. 2/10 mm kleiner als der Erl. Da dieser Abstand ringsherum konstant ist, vermute ich mal, dass das so gewollt ist („it’s not a bug, it’s a feature…“). Stört aber nicht im geringsten, man fühlt es auch nur, wenn man mit dem Fingernagel danach sucht.
Die Griffschalen sind verschraubt, wobei die Schrauben irgendwie merkwürdig ausschauen. Das ist weder Inbus noch Torx. Sieht aus wie ein Innensechskant mit zusätzlichen Rillen in den Ecken. Mmmm…? Ob da ein Torx T15 passt (Habe nur T10 und T20)? Evtl. ist auch ein Spezialschlüssel nötig. Da ich aber nicht vorhabe, die Griffschalen abzunehmen, ist das nicht so wild.
Das Stonewash-Finish der Klinge ist fast wie ein matter Spiegel und glatt wie ein eingeölter Babypopo. Zwar nichts für Leute, die Lichtreflexionen verhindern wollen, aber mir sind die völlig egal, ich finde das Finish so wie es ist super. Sehr elegant und es erzeugt keinen zusätzlichen Reibungswiderstand im Schnittgut. Es ist sehr gut ausgeführt, man kann keinerlei noch darunterliegende Schleifriefen erkennen.
Der Griff hat eine leichte Fishtail-Form und liegt mir (Handschuhgröße 8,5) ganz ausgezeichnet in der Hand, sowohl mit der Schneide nach oben als auch nach unten. Auch mit der Spitze nach unten greift sich das Messer sehr gut (für mich aber nicht relevant).
Ein großzügig dimensionierter Handschutz gibt der Hand viel Sicherheit, selbst wenn das Messer mal von Schweiß, Blut etc. glitschig sein sollte. Dabei steht er aber nicht so weit vor, dass er stören würde. Die Daumenrifflung besteht aus fünf rundlichen Mulden und ist sehr angenehm zum Daumen, keinesfalls zu aggressiv.
Zur hohen Griffigkeit trägt auch das aufwendig und präzise 3D-gefräste Micarta der Griffschalen bei.
Die Maße, die in den meisten Quellen angegeben werden, stimmen allerdings nicht alle so ganz. Ich habe die folgenden gemessen (‚Literaturwerte‘ in Klammern):

Gesamtlänge: 22,8 cm (22,4 cm)
Klingenlänge:
11,2 cm achsparallel bis zur oberen Griffschalenkante,
11,6 cm achsparallel bis zum Handschutz,
11,9 cm „Luftlinie“ von der Spitze bis zum Handschutz (10,6 cm)
Klingendicke: 4,6 mm (4,6 mm)
Klingenbreite: 34,6 mm max.
Masse (ohne Scheide): 200 g (202 g)

Man sieht, dass vor allem die Klingenläge abweicht. Das Messer hat eine wirklich große Klinge, die je nach Messmethode (und man weiß ja nicht, wie Ordnungshüter im Falle eines Falles messen…) gerade noch die kritischen 12 cm unterschreitet. Auf jeden Fall hat man hier eine über 11 cm große Klinge, dessen muss man sich bewusst sein.
Der Griff hingegen ist nicht so riesig. Mir liegt er – wie gesagt – traumhaft in der Hand, aber ich vermute, dass er für Leute mit großen Händen und/oder dicken Fingern nur bedingt oder nicht geeignet wäre.
Die Klinge verfügt über einen Flachschliff, der bis ca. 5mm vor den oberen Rand gezogen wurde.
Auf allen Bildern (z.B. auf diesem hier: https://www.boker.de/fahrtenmesser/dendra/02DN003.html) sieht es so aus, als ob das Messer über eine sehr schmale Schneidfase verfügte. Dies lässt ja allgemein darauf schließen, dass die Klinge eher dünn ausgeschliffen wurde und direkt oberhalb der Schneidfase nur eine vergleichsweise geringe Materialstärke besitzt. Dieses Merkmal (das man bei gar nicht so vielen schönen Fixed findet) war tatsächlich einer der Gründe, die bei mir den Kaufimpuls auslösten.
Als ich das Messer dann in der Hand hatte und live begutachten konnte, stellte ich aber fest, dass diese schmale Fase zwar vorhanden war, aber insbesondere im Bereich der Spitze mit einem extrem steilen Schliffwinkel (30°+) erkauft war.
An der Spitze beträgt die Klingendicke direkt hinter der Fase 1,1 mm (!), in der Klingenmitte immer noch 0,6 mm (ungefähre Angaben, da mit dem Messschieber schwierig zu messen). Das ist FETT. Ist zwar vermutlich konstruktiv so gewollt (Missbrauchstoleranz?), aber ich war doch etwas ernüchtert, um nicht zu sagen enttäuscht:(. Ich hatte mir eigentlich ein Messer mit einer schneidfreudigeren Geometrie versprochen (und von meinem Lionsteel M2 auch eher erwartet). Das Messer ist angeblich als Jagdmesser entworfen (habe ich irgendwo gelesen, finde aber die Seite nicht mehr) und ich plane es auch als Jagdmesser einzusetzen. Dabei will man zwar keine filigransten Geometrien, aber etwas dünner und schneidfreudiger dürft es schon sein. Diese fette Spitze ist vielleicht (Vermutung, keine Ahnung) eher für Bushcrafter interessant, zum Batonen und so. Für die Jagd eher suboptimal.
Allerdings deutet ja auch die hochgezogene Skinner-Form der Klinge eher auf ein Jagd- als auf ein Bushcraftmesser hin.
Naja, ich werde das Ding trotzdem behalten, weil es einfach schön ist. Ist ja nicht das einzige Messer…

Ach ja, fast hätte ich die Scheide vergessen: Kurzfazit: erträglich, aber wird dem Messer nicht gerecht.
Es ist eine Steckscheide, die aus schwarzem 3,5 mm starkem Leder genäht wurde (immerhin ohne Nieten) und ausschließlich die Klinge abdeckt. Die hintere Seite ist nach oben gezogen und bildet einen Lasche mit Druckknopf, die auch nötig ist, um das Messer sicher zu fixieren. Am Ende ist ein aus schwarz beschichtetem Metall bestehender D-Ring angebracht, an dem sich die eigentliche Gürtelschlaufe befindet. Die Beschichtung des Rings sieht merkwürdig billig aus und färbt zu Beginn ab.
Durch diese Konstruktion hängt das Messer einerseits schön tief (was ich mag, da man schnell und gut drankommt), andererseits bamselt es durch den Ring hin und her wie ein Lämmerschwanz, was nicht so toll ist.
Die hintere Zunge mit dem Lasche mit Druckknopf ist nicht mittig sondern leicht schief angebracht – tut der Funktion keinen Abbruch, ist aber nicht so schön.
Insgesamt ist die Verarbeitungsqualität der Scheide nicht so hoch: mittegute Passungen, Kleberreste etc. Könnte also besser sein.

Mein Gesamtfazit: Tolles Messer, super verarbeitet, verschenkt (für mich) etwas sein Potential durch die fette Schneidfase, mäßige Scheide.

PS: Bilder folgen noch...
 
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Die extrem dicke Klinge hinter der Fase hat leider auch das Lionsteel M3, das dem Russian Bear recht ähnlich ist. Der Winkel der Fase entspricht auch dem hier beschriebenen.
Scheint bei Lionsteel für Messer in dieser Größenklasse aus Niolox so gewollt zu sein, ist für mich aber sehr störend...
 
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