Hier liegen zwei Missverständnisse und ein Irrtum vor:
1. Zum Staatsgedanken: Ich rede nirgendwo dem Obrigkeitsstaat das Wort, der politisch übrigens schon 1918 zusammenbrach. Ich wende mich gegen eine Anti-Staats-Ideologie, eine Ungeduld gegenüber der bürgerlichen Demokratie mit ihren Ansprüchen an Gewaltenteilung, unabhängige Justiz, freien Journalismus, gebildeter Wählerschaft usw., die nur zum rechten (oder auch linken) Kurzschluss führt, ausgewogene aber auch komplexe Regulierungsmechanismen durch die Führung eines starken Mannes oder der richtigen Partei oder Klasse zu ersetzen. Woran erinnert denn "we should just trust our President in every decision he makes, and, you know, be faithful" (Britney Spears)? - Gar nicht zu reden von Angst-Propaganda und Medienmanipulation und Angriffskriegen und Ausschluss kritischer Journalisten und geheimer Überwachung usw. usf.
2. Zum Recht: Der Einzelne muss die Ausübung seines Rechts natürlich nicht rechtfertigen, hab ich auch nirgendwo gesagt. Aber wo die legislative Regulierung bestimmter Freiheiten zur Debatte steht, kann er auch nicht jede Verantwortung für die nachvollziehbare Vertretung seiner Ansprüche von sich weisen, ohne sich dann eben die Regulierung gefallen lassen zu müssen, und das ist unsere Frage.
Konkreter gesagt: Eingriffe in die Grundrechte sind höchstens da vertretbar, wo andere Grundrechte dies erfordern. Was aber sind die anderen Rechte, in die dieser ominöse Staat, genaugenommen die gesetzgebende Repräsentation des Volkes, sich prinzipiell nicht einmischen darf? Wo ist denn das Recht zum Waffentragen verankert? Wenn überhaupt, nur im juristischen, und nicht im Verfassungs-Bereich. Das heißt aber eben, wenn die Ausübung dieses angeblichen Rechtes die Freiheit und Sicherheit der Allgemeinheit bedroht, müssen die Journalistik und die Politik dies reflektieren und ggf. der Legislative zur Regulierung anempfehlen. Gründe dafür muss es freilich geben; aber sie müssen nicht mit absoluter wissenschaftlicher Stringenz gegen eine Lobby geführt werden, die sich ohne eigne Öffentlichkeitsarbeit bequem zurücklehnen und selbst nichts anderes zu tun haben will als die Zurückweisung aller gegenteiligen Gründe (wer nicht an Evolution und Erderwärmung glauben will, tut es ja heut noch nicht; trotzdem muss die Politik vernünftiger sein und Schulen bzw. Umweltbelastung dementsprechend regulieren).
Ich gab als Vergleichsbeispiel ja die Drogen- und Schusswaffenpolitik; da denken ja auch manche, aber die meisten unserer Forenmitglieder ja wohl nicht, der Staat würde durch Einschränkungen deren Gebrauchs ihre Rechte verletzen, obwohl deren Liebhaber ja durchaus Argumente dafür haben. Sollen sie diese nicht mal ordentlich anführen und erklären und untermauern brauchen (wohlgemerkt, in der öffentlichen Diskussion, nicht vor Gericht)?
3. Nun zum Freiheitsgedanken der Aufklärung, dem Interessantesten, hoffe ich, weil ich da wohl etwas weiter, allgemeiner, und interpretativer ausholen muss:
Ist Charlton Heston ein Geistesverwandter der Berliner Aufklärung und des rheinischen Liberalismus?
Deren Geistes Kind bin wohl eher ich, und stehe hinter den freiheitlichen Grundrechten des Individuums - im Sinne des Liberalismus, nicht im Sinne eines vom Gesellschaftsgedanken entkoppelten Naturrechtspopulismus, wie er eben in der NRA, aber z.B. auch im Thatcherismus herumspukt: "There is no such thing as society, only individuals" - nein: there are no individuals without society!
Die von Polaris genannten Quellen stehen doch selbst dafür, dass Freiheit in der Gesellschaft erlangt und verteidigt werden muss, nicht ohne oder gegen sie. Ob sie nun eher für oder doch gegen meine Haltung sprächen, sie sind jedenfalls politisch bestenfalls Sekundär- und Tertiär-, sozialphilosophisch sogar bloße Quartär- oder Quintär-Dokumente ;-)
Es ist ja bezeichnend, dass nur solche relativ späten und obskuren bzw. wirkungslos gebliebenen statt primären und originären Texte, und nichts genannt werden kann, was einem Locke als Naturrechtler oder Hobbes als Natur-Unrechtler ;-) oder allenfalls im französischen Raum einem Rousseau, z.T. auch Montesquieu ebenbürtig wäre (Kant ist ein ebenbürtiger Gesellschaftsvertragler, aber kein Naturrechtler).
Wer Muße hat, mag zum Thema deutsch-anglo-amerikanische Freiheitsverständnisse gern weiter, aber lieber off-line lesen! ;-)
Die Angelsachsen erkämpften die moderne Demokratie v.a. gegen das normannische und dann das katholisch-abolutistische Königtum, und spannten einen Lang-Bogen vom anti-monarchistischen J. Locke (17. Jahrhundert) über z.B. A. Smith (18. Jh.) und J.S. Mill (19. Jh.) bis hin zum modernen Liberalitätsgedanken wie bei K. Popper u.v.a..
In Amerika zunächst und dann teilweise ähnlich:
Es waren ja von den englischen und französischen Ideen beflügelte Briten, die (technisch und Tory-konservativ gesehen) Hochverrat begingen, indem sie sich von King George emanzipierten und die Gründungsdokumente der USA in den Rang 'geheiligter' Klassiker des Demokratie- und Freiheitsgedankens erhoben. Diese mit Europa verwobene, gebildete und liberale Kultur lebt bis heute v.a. in den Küstenregionen Amerikas fort.
Anders im 'Wilden' bzw. dann Mittleren Westen: frontier und settling, d.h. Mobilität und self-reliance, aber auch Gewalterfahrung und Sicherungsdenken, Entwurzeltheit und Wagenburg-Mentalität. Insgesamt eine Zurückgeworfenheit auf eher prä- und protozivilisatorische Zustände, dies aber protestantisch-individualistisch. So wird der freiheitliche Naturrechtszustand als real-historisch und gottgewollt imaginiert, womit staatliche Regulierung als unheilige Fremdbestimmung erscheint. Andererseits wird das Christentum zu einer alttestamentarisch-mosaisch rigiden Religiosität, die nichts tut, wozu Jesus aufrief (Friedfertigkeit, Feindesliebe, Besitzaufgabe) und genau das tut, wogegen er predigte (Macht-, Geld-, Gewaltherrschaft), und der statt dessen als Moralkern gilt, was für Christus kein Thema war (Sexualität). So wurden dann Indianer- und Annexionskriege, Sklaverei, Frauen- und Homosexuellendiskriminierung und Sexualitätsrepression sowie McCarthyismus, Regierungsumstürze und Angriffskriege gegen wehrlose Völker von Konservativen im Namen der Freiheit verteidigt, von Liberalen dagegen als Unterdrückung erkannt und weitgehend verbessert, nämlich durch gute Regulierung hinwegliberalisiert.
Was die Waffengesetze betrifft, verdrängten Konservative, dass die Verfassung nicht dem Bürger das Tragen jeglicher Waffen garantiert, sondern dem Kongress untersagt, dem Volk die Bewaffnung zu verbieten (z.B. im Sinne von militärischer Verteidigung); und dass diese Bestimmungen sowohl dem historischen Wandel Rechnung zu tragen haben (ländliches 18. vs. urbanes 21. Jahrhundert), als auch ihre Quelle und Rechtfertigung im Gemeinschaftswillen haben (so dass ihre Änderung im Sinne des Gemeinwohls kein fremdbestimmender Übergriff des Staates sein muss, sondern eine Maximierung der Freiheit Aller, die eben gerade Aufgabe des Staates ist).
In Deutschland (und Österreich) war dies alles auch bekannt und virulent, es dominierte aber dank Kaisserreich doch das Obrigkeitsdenken - auch unter Philosophen (staatstragend Hegel, oder pessimistisch Schopenhauer; wogegen dann - richtig bemerkt - deutsche Revolutionäre nach Amerika oder der umstürzlerische Marx oder auch Wagner nach England bzw. Frankreich emigrieren mussten; daher auch das Scheitern unserer Revolutionsversuche). Daher die Extreme nach 1918, die zum Scheitern unserer eigenen liberal-demokratischen Entwicklung führten; daher war aber auch die Re-education nach 1945 kein Fremdimport (anders als z.B. Japan).
So kann man die Abzweigung politische Philosophie verfolgen (dank der Allgemeinheit und Interpretationsgebundenheit natürlich auch anders). Das aber steht doch hier eigentlich nur im Hintergrund des konkreten Themas, wie beide Seiten der Debatte Meinungsbildung statt Meinungsmache betreiben können. Meine These bleibt, dass angesichts des unbestrittenen Fakts täglicher Messermorde und der sichtbaren Präsenz von Klappdolchen und Jagdmessern in den Innenstädten eine Beunruhigung der Öffentlichkeit und damit der Politik bzw. des Gesetzgebers nicht vom Tisch zu wischen, sondern mit vernünftiger Selbstpräsentation der wirklichen Messerfreunde zu beantworten ist - was wir ja im übrigen auch schon viel besser verwirklichen als z.B. amerikanische Foren. Freiwillige Selbstkontrolle, z.B. indem wir Amokläufern nicht auch noch SV-Foren bieten, ist doch der lebende Ausdruck dessen was ich meine: Freiheit heißt nicht wie bei Hegel "Einsicht in die Notwendigkeit", aber doch auch Verankertheit und Verantwortlichkeit der Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, die ihm diese Rechte verleiht und sichert (nämlich inwiefern ihre Freiheit mit der der Anderen zusammenpasst). Für die öffentliche Diskussion um Messer heißt das eben auch Verantwortung für eine rational und empirsch begründete und daher nachvollziehbare Haltung, was aber auch bedeutet, dass wir auf die Begründungen der Gegenseite vernünftig statt polemisch eingehen müssen. Im fraglichen Visier-Beitrag gibt es Polemik sowohl in der Argumentationsstruktur (auf die ich gar nicht eingegangen bin, da sie nur den Autor angehen), als auch in der Abhandlung der Einzelargumente, die ich deswegen kritisierte, weil wir diese zu optimieren oder ggf. auch zu korrigieren bereit sein müssen, wenn wir in der Diskussion ernstgenommen werden wollen.
Entschuldigung an alle, die soviel gar nicht lesen mögen;
Einladung an alle, die sich darüber austauschen mögen!