User - Ein portugiesischer Jäger tischt auf ...

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Boas,

seit einigen Tagen bin ich den Weg durch das Feuchtgebiet von Cacela Velha nach Fábrica gelaufen und habe Messer gecheckt und fotografiert. Auf der Parkplattform im Flecken Fábrica (vielleicht 10 Häuser und ein Ausflugs-Fisch-Restaurant) steht am Ende ein kleiner Kiosk, wo ich meinen Milchkaffee eingenommen habe. Man sitzt hier in der ersten Reihe! Zur Zeit in der Regel allein :joyous: …

Vor dem Kiosk parkte ein blauer Landy Baujahr 2003. Ich habe José mal gefragt, ob es wohl seiner ist. Si, ist seiner und er ist Jäger und liebt das Fahrzeug. Hat ihn gerade abbezahlt. In Portugal kostet sowas selbst gebraucht ein Vermögen. Zoll ohne Ende. Euro-illegal, aber was will man machen.

Wir kamen ins Gespräch. Über Landys. Und - man glaubt es kaum - über Messer :beguiled:. Ob er denn auch Messer habe, hab‘ ich ihn augenzwinkernd gefragt. Ihm dann die, die ich in der Tasche hatte, aufgetischt. Er bekam glänzende Augen und berichtete von den seinigen. Gestern hat er mir versprochen, mal was mitzubringen.

Am heutigen Morgen war hier Allerheiligen-Wetter. Dunkel und feucht. Gemessene Luftfeuchtigkeit echte 95 %. Hat man hier am Meer schon mal um diese Jahreszeit. Ich habe mir den Fußweg gespart und bin mit dem Landy nach Fábrica. José hat mich freudig begrüßt und gleich gemeint, er habe was für mich, machte die Wagentür auf und zeigte mir seinen gesamten Jagdmesserbestand.

Ich habe ihn gefragt, ob ich fotografieren dürfe. Er weiß, daß ich in einem Forum unterwegs bin und die Bilder ins Netz gehen werden. Rosa Tuch auf einen der glänzenden stählernen Tische - damit man auch was von den Messern sieht, meinte er - und aufgelegt …

Ein Messer - so’n halber Säbel für den finalen Stich - hat er zu Hause gelassen. Zu riskant wegen Polizei. Wenn er nicht zum Jagen unterwegs ist, sind schon die anderen ein Risiko bei einer Kontrolle. Und die gibt es hier immer wieder mal.

Wie man sieht, benutzt José seine Messer :glgl:!! Das große Klappgerät ist ein Muela - Klinge aus Edelstahl. Das andere - mit dem Holzgriff und diversen „ordentlichen“ Serrations - ein Handmade mit Carbonstahl-Klinge. Das mag er besonders gern. Es baut sehr flach und die Handlage ist in der Tat gut.

Denn haben wir von oben nach unten auf dem 7. Bild zunächst ein Muela mit Hirschhorngriff und Klinge aus 440. Mein persönlicher Favorit. Darunter Josés Favorit, was die Gebrauchseignung angeht, das IVO, ein portugiesisches Klappmesserchen der Sorte, wie man sie hier in großer Zahl für irgendwas um 6 bis 8 Euro findet.

Darunter ein Joker mit Backlock, Horngriff und ebenfalls 440. Das Opinel No.10 ist ihm für intensiven Einsatz zu filigran. Man sieht es an der so gut wie unbeschadeten Klinge. Mal’n Stück Fleisch … Unten dann ein Familienerbstück von seinem Vater.

Die Messerchen haben schon einige Betriebsstunden hinter sich, wie man unschwer erkennt. Morgen ist José noch einmal am Kiosk. Dann macht er die Bude für vier Wochen zu bis zum 15. Januar. Weihnachtsurlaub. Was er macht in der Zeit? Familie und ….

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R’n‘R
 
Last edited:
Vielen Dank für den Bericht! Ich finde die Schilderungen aus dem Alltag im Süden ja immer spannend und zeigt mir, dass es auch mit viel weniger (Messer) geht. Wahrscheinlich nicht so komfortabel, aber es geht.
 
Moin klingler,

da sagst Du was. Komfortabel ist anderes. Und besonders scharf waren die Messerchen auch alle nicht. Da halte ich mich allerdings grundsätzlich zurück ;).

Man muß sehen wie man klarkommt. Es wird nicht übermäßig verdient. Der Kiosk ist staatlich und José bewirtschaftet ihn zusammen mit einem Kollegen. Die machen sich da nicht tot - außer in der Hochsaison - aber dafür muß die Kohle dann halt eingeteilt werden. Familie ist auch noch da.

Land Rover - in sehr gutem Zustand und auf jagdliche Belange hin ausgestattet - drei Hunde, Waffen, Muntion, Jagdlizenz. Das will bezahlt werden. Da bleibt nichts über für Customs à la Sündenbock. Der hat ihm btw sehr gut gefallen. Für die Arbeit am Tier hätte er aber lieber eine etwas größere Klinge - das BRKT Fox River beispielsweise. Ich hab‘ ihm auch sonst noch bissi was aufgetischt: Attila, Para Millie, Hasenfüße. Er hat in Ruhe begutachtet und fertig. Sowas wie Neid habe ich hier noch nicht kennengelernt :).

Was die Prioritäten angeht - José hat kein Internet. Würde ihn an die 30,- € kosten im Monat. Das geht für die Jagdlizenz drauf. Man muß sich entscheiden. Braucht er ja auch eigentlich eh nicht. Jede freie Minute verbringt er in der Natur. Morgens stehen in der Regel seine nassen Boots und ein paar Klamotten zum Trocknen auf der Landy-Haube.

Es wird gleich regnen. Also nochmal mit dem Landy nach Fábrica auf einen letzten Espresso dort für die nächsten vier Wochen …


Gruß aus Monte Gordo

R’n‘R
 
Moin,

die Schonzeit ist rum. Die für José :glgl:. Am 16. Januar hat er den kleinen Kiosk in Fábrica wieder eröffnet. Am 18. war ich da auf einen Espresso. José hat die freie Zeit zum Jagen genutzt. Und er hat eine Reise in den hohen Norden von Portugal nach Palaçoulo unternommen.

Palaçoulo ist eine kleine Gemeinde im Kreis Miranda do Douro und bekannt für Messer. Einige Manufakturen haben sich dort schon vor langer Zeit angesiedelt. Zum Beispiel Filmam 1870, deren Messer man auch bei Böker bekommt und die hier im Forum schon vorgestellt worden sind.

José hat ordentlich zugeschlagen. Und versprochen, mir die Messer gelegentlich zu zeigen. Er wolle sie aber nicht am Kiosk auftischen. Nicht günstig wegen ihrer Größe. Da ist man auch in Portugal an Gesetze gebunden. Lieber mal nach Feierabend bei mir im Roadhouse auftauchen. Heute war er da.

Das dickste Ding ist sein Muela Ursus Magnum. Für den finalen Stich. Hat er schon länger und 120,- € dafür hingelegt. Stahl: X50CrMoV15 (MOVA), HRC 57-58, Griff aus Hirschgeweih, 26 cm Klinge, beidseitig scharf, Grifflänge 14 cm, 480 Gramm.

Aus Palaçoulo und Sendim (ebenfalls Kreis Miranda do Douro) hat er sich 5 Messerchen mitgebracht.

Zwei große und ein mittleres aus den Händen der Manufaktur Francisco Diz Pires, zwischen 20,- und 25,- € je Messer. Sehr robust und ohne Schönheits-OP. Echte Werkzeuge. Aber nicht schlampig verarbeitet.

Das große mit Hirschhorngriff wie das Muela. Die Holzgriffe der beiden anderen aus einem Stück, die Klingen in die Ausfräsung gesetzt und vernietet. Die Übergänge von Griff und Klinge bei allen drei Messern optisch und faktisch fein sauber abgedichtet. Die Griffe lackiert. Das kleine gut für den Pinchgrip geeignet. Und zum Hacken. Sowas in der Art superrobustes Roselli Small Chef :lemo: …

Von José da Cruz aus Palaçoulo stammt der respektable Folder ohne Verriegelung, der sich zur Zeit nur mit Mühe öffnen und schließen läßt. Er hat im Laden 6,- € gekostet.
Nummer 5 stammt von Armandino José Domingues Torrão aus Vila de Sendim. Diesen mittelgroßen Klapper hat José nur deshalb mitgenommen, weil der Verriegelungsmechanismus ihm so gut gefallen hat.

Die Rückenfeder, die bei jedem Messer individuell gestaltet wird, sitzt gut unter Spannung und rastet in die Aussparung am Klingenrücken ein, wenn die Klinge ganz geöffnet ist. Hat man das Messer in der Hand und arbeitet damit, verhindert die geschlossene Hand ein Öffnen. Im Original auf der Homepage heißt das Messer „Navalha média, com lâmina em aço carbono, madeira de bucho e travão incorporado“. Wobei „travão“ soviel heißt wie Bremse.

Die Fotos entstanden auf die Schnelle unter Zuhilfenahme zweier LED-Funzeln über dem Küchentresen :p

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Weiter im folgenden post ...
 
Moin,

während ich die Fotos gemacht habe, hat José einen Blick auf meine Küchenmesser geworfen. Und sich entschieden. Wobei er sich als heimlicher Freund von perfekt gefinishten Lasern geoutet hat ...

Hier das Messerchen seiner Wahl - Der Kleine Küchenbulle von Xerxes :fat: ...

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R'n'R
 
Hallo RnR,

deine Erzählungen und die dazugehörigen Bilderserien sind immer wieder
einfach Spitze für mich. :super:

LG Harry
 
Vielen Dank für die schöne Geschichte und die passenden Bilder.

So sehr mich kunstvolle Photos von Edelmessern im Vitrinenzustand verträumt sabbern lassen, das ist nichts gegen den Anblick von Messern, denen man ihre Arbeit ansieht.:super:
Denn zum Schneiden sind sie da!
Schade nur, dass sie in Deinem Fall wohl nicht ganz so scharf waren. Da hat mich schon so manches, meist altes und "ranzig" aussehendes Stück Stahl verblüfft. Gerade auch in südlichen Ländern.

Das ist nur noch zu steigern von Edelmessern, die sich draußen bewährt haben. Das sieht man leider viel zu selten. Solche Momente lassen mir mein Herz höher schlagen. Zum Beispiel wenn der Olivenbauer (in diesem Fall ein Franzose auf Kreta:glgl: ) mal kurz ein bildhübsches Edel-Laguiole aus der Hosentasche zieht und damit einen zölligen Bewässerungsschlauch durchschneidet als wäre es ein Strohhalm. Oder wenn der Treiber auf der Drückjagd ein "Markus Reichart" zieht und fragt ob er Aufbrechen darf :staun:

(Bei dem Küchenmesser zeigt sich im Übrigen auf beiden Seiten ein guter Geschmack!)
 
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